Charlotte
ich kannte die nervösen Tics, huschenden Augen, trappelnden Füße, die verstellte Stimme. Man wird zu einem wandelnden Lügendetektor. Ich schaute Harrys gebeugten Kopf an. Er schwitzte, weil es schlecht für ihn aussah, wenn seine Beziehung zu Stef Molenaar ans Licht kam, und er haderte mit sich selbst, weil er dachte, er habe mit dem Mörder seines Chefs geschlafen. Er sagte die Wahrheit und wir kamen keinen Schritt weiter.
»Du fühltest dich schuldig, weil du ihm von Runings Golftermin erzählt hattest«, sagte ich.
Er blickte auf. »Das habe ich nicht getan!«
»Aber du hast ihm doch bestimmt mal erzählt, dass du deinen Chef öfter zum Golfplatz in Heelsum brachtest.«
Er starrte düster auf den Tisch und zerrte an seiner Pyjamajacke. »Kann sein, wir haben uns über so vieles unterhalten.«
»Wusstest du, dass er den Golfplatz gut kannte, weil er dort jahrelang Fußball gespielt hat?«
»Stef?« Harry Erstaunen war echt. »Nein.«
»Warum hast du den Mann mit dem Brecheisen krankenhausreif geschlagen?«, fragte Nel.
»Was?« Er zog an seinem Pyjama, der sich wie ein blutroter Mondrian vor dem weißen Kunstleder abhob. »Ich bin in Panik geraten. Er riss die Autotür auf, fing an zu schreien und versuchte, mich aus dem Wagen zu zerren. Das Brecheisen lag auf dem Nebensitz.«
»Wo warst du am Dienstagnachmittag?«
Er brauchte nicht zu fragen, an welchem Dienstagnachmittag. »Ich hatte frei, das habe ich doch schon gesagt.«
»Und?«
»Ich bin zur Maurik-Insel gefahren und habe ein paar Stunden geangelt. Abends hat mich van Loon angerufen.«
»Und wo warst du gestern Abend und heute Nacht?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe in dem Lokal hier nebenan ein Steak gegessen, draußen auf der Terrasse, ansonsten war ich zu Hause. Die Nachbarin lügt. Stef hat mir erzählt, was für eine das ist. Die kann sich auf den Kopf stellen, sie kann mich nicht gesehen haben.«
»Aber du wusstest von dem Schlüssel unter dem Blumenkasten«, sagte Nel.
»Ja, ich habe ihn gelegentlich benutzt. Was denn noch?«
»Nach dem Essen hättest du Zeit genug gehabt«, antwortete Nel, aber auch sie klang nicht mehr überzeugt.
»Als ich nach Hause kam, habe ich die Wand in meinem Tischtennisraum geweißt, anschließend geduscht und bin um halb zwölf ins Bett gegangen. Ihr könnt euch gern selbst überzeugen, die Farbe ist bestimmt noch nicht trocken.«
»Weiß ist wohl deine Lieblingsfarbe«, bemerkte Nel.
Ungerührt erwiderte er ihren Blick. »Weiß ist die Farbe der Unschuld.«
14
Draußen schien die Sonne. Es war einer der schönsten Sommer aller Zeiten. Unten summte Sorrys Staubsauger. CyberNel schlief. Ich setzte mich mit Hanna auf dem Arm neben sie aufs Bett, zog die Schleife ihres Nachhemds auf, legte meine freie Hand um ihre cremeweiße Brust und drückte sie zart, mehr zu meinem eigenen Vergnügen als um die Produktion in Gang zu bringen. Ich hob sie ein wenig hoch und legte Hanna an. Unsere Tochter begann zufrieden zu trinken. Schläfrig schob Nel ihre freie Hand auf den kleinen, in Windeln und Flanell gehüllten Rücken.
Ich blieb eine Weile sitzen und schaute zu, bevor ich auf Zehenspitzen das Zimmer verließ.
Es war gegen zwölf, als ich beim Ehepaar Buizing klingelte. Hermien Buizing hatte das spitze Gesicht, den vorstehenden Unterkiefer und die großen Augen eines Schweinsaffen. Sie brachte mich nach ein wenig Hin- und Hergerede zu ihrem Mann, der in einem Korbsessel im Wohnzimmer auf sein Mittagessen wartete. »Der Mörder hat sich doch bei einem Fluchtversuch zu Tode gestürzt?«, fragte sie. »Ich hab’s in der Zeitung gelesen. Dann müssten Sie mit Ihrer Arbeit doch eigentlich fertig sein?«
Buizing war sichtlich froh über die Unterbrechung. »Die Ermittlungen müssen nun einmal abgeschlossen werden«, sagte er mit einem hoffnungsvollen Blick zu mir. »Stimmt’s?«
»Solange können wir den Fall nicht zu den Akten legen«, pflichtete ich ihm hilfsbereit bei.
»Kann ich Sie mit einer Tasse Kaffee erfreuen?«, fragte Hermien merkwürdig förmlich und strich einige graue Haarsträhnen zurecht, die sich gelöst hatten, als hoffe sie, dass das Kamerateam draußen nur auf ein Zeichen von mir wartete.
Ich setzte mich Buizing gegenüber in den Korbsessel vor dem Fenster. Auf der Fensterbank blühten üppig die Begonien und draußen lag ein gepflegter Garten mit Schuppen für die Reparatur von Fahrradreifen. »Ich will Sie nicht lange aufhalten, ich habe nur noch ein, zwei Fragen. Auch an
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