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Charlotte

Charlotte

Titel: Charlotte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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schließlich ist es quasi in der Nachbarschaft passiert. Früher habe ich noch geglaubt, wir hätten das Wassermannzeitalter erreicht und der gesunde Menschenverstand würde triumphieren, aber inzwischen bin ich alt genug, zu glauben, dass es vielleicht nie mehr gut werden wird. Zu viele Menschen sind nicht mit dem zufrieden, was sie haben. Manchmal können sie nichts dafür, aber die Nachrichten bleiben immer dieselben.«
    Eine kleine Satellitenschüssel ragte über die Binsenmatten empor. »Können Sie sich noch an den Tag erinnern, an dem der Mord geschah?«
    »Ich habe erst später wieder daran gedacht«, antwortete sie. »Erst als ich die Nachrichten sah, wurde mir klar, dass es keine Krähe war.«
    »Eine Krähe?«
    »Die Bauern schießen manchmal auf Krähen, Sie wissen schon, und nageln sie an ihr Scheunentor. An so was hatte ich gedacht.«
    »Sie meinen, Sie haben den Schuss gehört?«
    »Es ist still hier und ich habe gute Ohren.« Wie die Großmutter im Märchen, nur waren Jacobas große Augen hellblau und nicht wolfsbraun. »Im Winter jagen die hier Hasen und Kaninchen«, fuhr sie fort. »Aber dieser Knall hörte sich ein bisschen anders an. Nicht wie eine Schrotflinte.« Sie wandte den Blick ab. »Es war doch der Mann, der gestern aus dem Fenster gesprungen ist, oder?«
    Ihr brauchte ich nichts vorzumachen. »Kann sein, dass dieser Mann unschuldig war.«
    »Meine Güte!« In ihrem Gesicht, das einem verschrumpelten Apfel glich, bildete sich eine zusätzliche Falte. »Dann hoffe ich nur, dass sich der Mörder hier nicht noch irgendwo rumtreibt.«
    »Darüber würde ich mir keine Sorgen machen. Können Sie sich noch daran erinnern, ob an diesem Tag Angler hier waren? In der näheren Umgebung wurde jemand mit einem schwarzen Barett und einer Anglertasche gesehen, nachmittags so gegen drei. Eventuell war er mit Frau und Kindern unterwegs.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Hier ist kein Mensch gewesen, den ganzen Tag nicht. Ich achte genau darauf, wissen Sie.«
    »Gibt es hier noch andere Angelplätze in der Nähe?«
    »Na ja, ein paar Kanäle, in denen man manchmal einen Hecht erwischt, aber auch dann hätte ich ihn gesehen, denn die Stellen liegen alle hier hinten. Ansonsten müssten sie bei Bauer Kalfstee vorbeigekommen sein. Haben Sie dort schon nachgefragt?«
    »Nein.« Noch weiter weg, noch unwahrscheinlicher.
    »Es tut mir Leid für den Mann«, sagte sie. »Aber wenn er es nicht getan hat, warum versuchte er dann zu flüchten?«
    Tja. »Er konnte die Gefangenschaft nicht ertragen.«
    Jacoba nickte. »Kann ich gut verstehen.«
    Ich trank meine Limonade und blieb noch eine Weile entspannt bei ihr sitzen.
    Jacoba war keine Klatschbase und ich hatte alle meine Fragen gestellt. Das Wasser roch ein wenig sumpfig. In einem der Ställe hinter uns hockte ein Kaninchenweibchen unter einem eifrigen Rammler, die Ohren platt in den Nacken gelegt.
    Runing war geschäftlich ein Wolf gewesen, aber womöglich hatte man ihn aus einem ganz anderen Grund ermordet. Es gab immer eine Frage, die man zu stellen vergaß.
    Ich stand auf und dankte Jacoba.
    »Einen Augenblick.« Sie kletterte in ihren Wohnwagen und kehrte mit vier kräftigen ausgenommenen Plötzen auf Zeitungspapier zurück. Sie zeigte sie mir, bevor sie sie in die Zeitung einwickelte und das Ganze in eine Plastiktüte steckte. »Für Mevrouw.«
    Ich nahm das Päckchen entgegen und starrte auf das Logo von Albert Heijn. »Das ist aber wirklich nicht nötig.«
    »Sie schmecken herrlich, aber Sie müssen sie richtig heiß braten, in viel Ol. Fisch muss schwimmen, daran sollte man bei der Zubereitung immer denken.«
    »Ja, Mevrouw«, antwortete ich gehorsam.
    »Das macht dann vier sechzig«, sagte sie.
    Ich starrte sie an.
    »Die Plötzen kosten einen Euro pro Stück und sechzig Cent für die Limonade.«
    Ich dachte an Hermien und grinste.
    Ich hielt bei Albert Heijn an, weil ich sowieso mehr oder weniger daran vorbeikam. Im Laden herrschte viel Betrieb und an allen Kassen hatten sich Schlangen gebildet. Vielleicht arbeitete Charlotte in einer anderen Schicht. Ich zwängte mich durch die Schleuse und wanderte zwischen den Regalen entlang, auf der Suche nach einem Betriebsleiter in einem kleinen Büro. Ein magerer junger Mann sah aus wie ein ehrgeiziger Jungchef und ich fragte nach Charlotte Bonnette.
    »Lottie ist heute nicht zur Arbeit gekommen«, sagte er müde.
    Mein ungutes Gefühl wurde stärker. »War sie denn gestern da?«
    »Sie hat die ganze Woche in der

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