Charlotte
zu. Wenn der Wagen benutzt worden war, hatte er ein paar Stunden Zeit zum Abkühlen gehabt. Außerdem war es eine warme Sommernacht.
Ich folgte Nel. Die kleine Stadt schlief. Das Wasser unter der Brücke sah schwarz und unbewegt aus und stank nach toten Ratten. Die einzige brennende Laterne stand zu weit entfernt, an der Ecke am anderen Ende der Straße. Bolink wohnte in der Mitte, in einem auffallend schmalen dreistöckigen Haus. Die Haustür war mit zwei Schlössern gesichert.
»Ein paranoider Chauffeur«, murmelte ich. »Womöglich ist sie von innen auch noch verriegelt.«
»Oder er hat eine Alarmanlage«, flüsterte Nel. »Warum klingeln wir nicht einfach?«
»Vielleicht hat er den Riegel ja vergessen.«
Ich steckte den Stift des Instruments in das obere Schloss und fing an, die Arretierungen und Haken zu bewegen. Es gab kleine Klick- und Schabegeräusche. Ich spürte, wie sich das Schloss öffnete.
»Oder er hat einen Hund«, meinte Nel optimistisch.
»Er ist manchmal tagelang mit seinem Chef unterwegs. Der Hund wäre schon lange tot.«
Wir erstarrten, als Licht auf die Straße fiel. Ich ließ den Dietrich im unteren Schloss stecken und nahm Nel in die Arme. Das Licht kam aus einem Fenster im oberen Stockwerk des gegenüberliegenden Hauses. »Jemand hat geträumt, er müsse aufs Klo.«
Nels Atem streifte mein Ohr. »Glaubst du, die Nachbarn finden ein knutschendes Pärchen um drei Uhr morgens in einer stillen Straße wahrscheinlicher als Einbrecher?«, flüsterte sie.
»Ich habe dich sehr spät nach Hause gebracht und kann dich einfach nicht gehen lassen. Außerdem guckt man nachts nicht aus dem Fenster.«
»Das will ich hoffen, denn dass du mich zu Harry Bolink nach Hause bringst, würde schon sehr merkwürdig aussehen.«
Ich lachte leise. Das Licht ging wieder aus. Ich brauchte etwa eine Minute für das zweite Schloss, nahm meine Taschenlampe in die Hand und drückte gegen die Tür. Kein Riegel. Wir gingen rasch hinein und ich schloss die Haustür hinter uns. Nel berührte etwas, das mit einem Kratzen an der Mauer entlangschabte. Wir blieben stehen und lauschten, wobei Nel das Fahrrad an die Wand gedrückt festhielt. Als ich meine Taschenlampe einschaltete, sah ich eine Treppe und eine schmale Diele mit einer Tür in der Mitte sowie einer am Ende, vielleicht die Gartentür. Alles hier war klein und schmal. Ich legte Nel den Zeigefinger auf den Mund, ging zur ersten Tür und schaltete meine Lampe aus, bevor ich sie öffnete. Im Raum dahinter herrschte Stille, er fühlte sich leer an und roch nach Farbe. Meine Lampe beschien einen Pingpongtisch auf einem Betonfußboden in einem kahlen Raum.
Wir schlichen hintereinander die dunkle Treppe hinauf. Das Haus roch außer nach Farbe auch nach Junggeselle. Manche Häuser haben diesen typischen Geruch. Ich hatte den vagen Plan, Harry im Schlaf zu überraschen, aber als ich fast oben war, hörte ich ein verdächtiges Geräusch und ging abrupt in die Knie, sodass Nel fast über mich gestolpert wäre.
Ich fühlte den Luftzug, als etwas durch das Dunkel sauste und mit einem lauten Schlag gegen die Treppenwand knallte. Ich schaltete meine Lampe ein. Harry holte erneut mit dem Baseballschläger aus. Hinter mir blaffte Nel: »Stehen bleiben! Polizei!«
Harry erstarrte mitten im Schwung, den Knüppel schlagbereit über dem Kopf. Mein Gesicht blieb hinter der Lampe verborgen, doch im Lichtschein konnte er Nel erkennen, die mich überragte und mit der Jennings in beiden Händen auf ihn zielte.
»Polizei, dass ich nicht lache!«, brüllte Harry.
Ich erkannte, dass er erneut zuschlagen wollte, und rief: »Harry, hör auf!« Ich trat eine Stufe hinunter neben Nel und leuchtete mir ins Gesicht, bevor ich die Lampe zur Decke richtete.
»Wenn du den Knüppel nicht sofort runternimmst, schieße ich!«, sagte Nel. »Jetzt!«
Harry schnaubte wütend, ließ den Baseballschläger sinken und drückte auf einen Schalter. Wir standen im Licht einer schmiedeeisernen Flurlampe.
»Okay«, sagte Nel. »Zurück!«
»Was soll denn das, verdammt nochmal?« Harry trat zurück und wir folgten ihm an einer Toilettentür vorbei und wieder ein paar Stufen hinauf in einen kurzen Flur. Harry war barfuß und die Jacke seines rot karierten Flanellpyjamas stand offen, sodass man seinen behaarten Bauch sah. Er war hellwach. »Ich hätte dir den Schädel einschlagen können!«
»Ich dachte, du wärst noch nicht zu Hause«, sagte ich gespielt naiv.
»Jetzt stell den Schläger mal beiseite«,
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