Charlotte
Sie, Mevrouw.«
Hermien war schon auf dem Weg zur Tür, um sich mit dem Kaffee durchzusetzen. Sie blieb stehen. Ihre großen Augen wurden durch schwarze Kajal-Lidstriche und dunkelvioletten Lidschatten unnatürlich betont. Vielleicht hatte sie vor, zu einem Bingonachmittag zu gehen, oder machte sich jeden Morgen für ihren Mann hübsch. Es wirkte ein wenig lächerlich.
»Es geht um die Autos, die am Mordtag gegenüber von Ihrem Haus parkten.« Ich schaute Hermien streng an. »Dem Fernsehen können Sie gern alles Mögliche erzählen, das würde ich auch, wenn die mich fragten. Aber mir gegenüber sollten Sie es besser ehrlich zugeben, falls Sie sich nicht ganz sicher sind.«
Hermien machte ein pikiertes Gesicht. »Ich habe nichts als die Wahrheit gesagt!«
Buizing grinste.
»War auch ein schwarzer Mercedes dabei?«, fragte ich.
Buizing schüttelte den Kopf. »Nicht, als ich vor dem Haus saß, der wäre mir bestimmt aufgefallen.«
Hermien sagte nichts.
»Sie haben einen Angler gesehen«, fuhr ich fort. »Mit einer Angeltasche. Können Sie sich daran erinnern?«
»Ich weiß noch genau, was ich Ihnen erzählt habe«, antwortete Buizing.
»Ich habe keinen Angler gesehen«, meinte Hermien abweisend.
»Nein, du warst ja auch drinnen«, sagte Buizing.
»Ich habe oben das Schlafzimmer sauber gemacht und schaue dabei durchaus öfter mal aus dem Fenster«, sagte sie dickköpfig. »Und ich bin nicht blind. Ich habe ein blaues Auto gesehen. Unter anderem.«
Es klang wie ein alter Streit zwischen den beiden. Ihr Mann meinte schließlich, Hermien könne einen Ford nicht von einem Raumschiff unterscheiden. Auch sie konnte schlecht im Nachhinein von früheren Fantasiegeschichten abrücken.
»War der Angler allein?«, fragte ich.
»Ich bin mir nicht sicher«, sagte Buizing so bedauernd, als sei er bei Wer wird Millionär? nicht über die 50-Euro-Frage hinausgekommen. »Es standen zwei Autos da, ich weiß nicht mehr, ob sie beide gleichzeitig angekommen sind. Deshalb dachte ich, dass der Angler zu der Frau und den Kindern gehörte, das sieht man öfter, dass die Familie mitkommt, mit Picknickkorb und so weiter.«
»Aber die Kinder hatten keine Angeln dabei?«
»Nein, die nicht. Hatte der Angler etwas mit dem Mord zu tun?«
»Wir überprüfen alles.« Hätte ich mehr gesagt, wären binnen einer Stunde in der ganzen Nachbarschaft inklusive Bingosaal wilde Gerüchte über Komplizen herumgeschwirrt. »Wie sah dieser Angler aus?«
»Ich meine, er war ziemlich groß, er hatte die Angeltasche und einen Kescher dabei, so einen kurzen, den man ineinander schieben kann. Das Einzige, was mir an ihm auffiel, war das Barett, so was sieht man heutzutage nicht mehr oft.«
»Was für ein Barett?«
»So ein schwarzes französisches, ziemlich groß.« Er schaute Hermien an, die schweigend am Esstisch stand. »Wir haben doch mal ein Häuschen in der Corrèze gemietet. Kannst du dich noch an den Markt in Objat erinnern? Da haben die Bauern genau solche Baretts getragen.«
»Kann schon sein«, sagte Hermien.
»Haben Sie gesehen, in welche Richtung er ging?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich nehme an, den Kleinen Amerikaweg entlang, hier gegenüber.« Sein Gesichtsausdruck hellte sich auf. »Jacoba könnte ihn doch gesehen haben …«
Seine Frau schnaufte hörbar. »Was wird das schon nützen!«
»Jacoba ist anders, aber sie ist nicht verrückt.« Buizing ignorierte das Missfallen seiner Frau. »In den Wintermonaten mietet sie von ihrer Rente ein Zimmer bei einem Bauern, aber im Sommer wohnt sie in einem Wohnwagen am Wasser. Das ist zwar nicht erlaubt, aber die Gemeinde Heelsum lässt es ihr durchgehen, weil sie keiner Fliege etwas zu Leide tut.« Er stand von seinem Sessel auf. »Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.«
Er ging mir voraus zur Tür und ließ sie offen stehen. Hermien öffnete das Büfett und fing an, den Tisch zu decken. »Vielen Dank für Ihre Mithilfe, Mevrouw«, sagte ich.
Sie ließ die Hand zögernd auf dem Büfett liegen. »Die Frauen in Frankreich haben früher auch solche Baretts getragen«, sagte sie dann. »Ich habe das in einem Schwarz-Weiß-Film über den Widerstand in Paris gesehen. Sie rauchten auch Zigaretten, in solchen Zigarettenspitzen. Lassen Sie sich von Jacoba nur nicht über den Tisch ziehen.«
Buizing lachte vor sich hin, während er mich bis an seine ordentlich geschnittene Ligusterhecke brachte. »Ich amüsiere mich immer, wenn Hermien etwas nicht weiß oder etwas nicht gesehen hat«, sagte er.
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