Charlottes Traumpferd | Gefahr auf dem Reiterhof
Wink geben«, riet mir Doro.
Ich bückte mich, um die Longierpeitsche aufzuheben. Im gleichen Moment drehte sich Won Da Pie um und stürmte los. Die Longe schnurrte mir durch die Hand und verbrannte mir die Handflächen. Mein Pferd vergeudete keine Zeit mit Schritt oder Trab, es donnerte in einem rasenden Galopp los. Die Streichkappen an seinen Hinterbeinen schienen ihn immer noch zu stören, denn er bockte und schlug ein Dutzend Mal hintereinander aus, bis sich eine Streichkappe löste und wie ein Geschoss durch die Halle zischte.
Verbissen klammerte ich mich mit beiden Händen ander Longe fest, aber Won Da Pie zog mich einfach hinter sich her.
»Hoho!«, schrie ich. »Brrrrr! Won Da Pie, Teeeeerab!!!«
Ich versuchte, meiner Stimme einen beruhigenden Klang zu geben, aber das war gar nicht so leicht angesichts seiner wilden Rodeovorführung. Das hatte Herr Kessler sicherlich nicht mit »ruhiger Bewegung« gemeint!
Won Da Pie nahm den Kopf zwischen die Vorderbeine, krümmte den Rücken und bockte wild ausschlagend durch die Bahn. Manchmal befand er sich mit allen vier Hufen gleichzeitig einen Meter über dem Boden. So hatte ich ihn noch nie erlebt!
»Mein lieber Mann!«, hörte ich Doro rufen. »Da möchte ich jetzt nicht draufsitzen!«
»Wie soll ich ihn bloß anhalten?«, schrie ich verzweifelt. Won Da Pie rannte und rannte, ab und zu rutschte er aus, was ihn wieder zu einer Serie zorniger Bocksprünge veranlasste. Plötzlich blieb er stehen, machte kehrt und raste in die entgegengesetzte Richtung. Bei einem Bocksprung geriet er mit einem Vorderbein in die Longe und strauchelte. Mit einem Ruck wurde mir die Longe aus der Hand gerissen; ich stolperte nach vorn und schlug der Länge nach hin, mit dem Gesicht in die Sägespäne. Ich hätte heulen können und war gleichzeitig froh, dass außer Doro und Bille niemand Zeuge meiner Unfähigkeit war. Won Da Pie galoppierte weiterhin ausschlagend und bockend durch die Halle und zog die Longe hinter sich her. Gerade als ich mich wieder hustend und spuckend aufgerappelt hatte, ging die Bandentür auf. Isa betrat die Halle. Sie hatte denTumult vom Stall aus gehört und nun mit einem Blick die Situation erfasst.
Als Won Da Pie an ihr vorbeigaloppierte, ergriff sie beherzt die schleifende Longe und stemmte sich mit ihrem ganzen Gewicht dagegen.
Der braune Wallach blieb bei dem heftigen Ruck, den er ins Maul bekam, zitternd stehen. Sein Fell glänzte vor Schweiß, die Flanken bebten. Er hatte die Augen weit aufgerissen, seine Nüstern waren blutrot. Ich war den Tränen nahe, als ich mir die Sägespäne von den Kleidern abklopfte. Was war nur mit meinem Pferd los? Isa sprach beruhigend auf Won Da Pie ein und näherte sich ihm langsam, wobei sie die Longe aufrollte. Sie klopfte ihm den Hals und führte ihn zu mir.
»Danke«, sagte ich schwach. »Ich glaube, das reicht für heute.«
»Er kennt das Longieren vielleicht nicht.« Isa lächelte freundlich. »Du solltest es beim nächsten Mal mit einem Longiergurt versuchen und ihn ausbinden. Ein schönes Pferd hast du da übrigens!«
»Ja? Vielen Dank.« Ich nahm ihr die Longe aus der Hand. »Hoffentlich werde ich mit ihm fertig.«
Isa war die anerkannt beste Reiterin im Stall. Mit den Privatpferden Natimo und Heide ritt sie sehr erfolgreich L- und M-Dressur. Sie konnte fabelhaft reiten, war immer nett und wusste über alles, was mit Pferden zu tun hatte, Bescheid. Selbst uns kleinen Schulreitern gegenüber war sie niemals arrogant.
»Du darfst nicht gleich den Mut verlieren«, riet Isa mir.»Das Pferd ist jung, die Umgebung ist ihm fremd. Komm, versuch es noch mal!«
Ganz vorsichtig hob ich diesmal die Longierpeitsche auf und gab dem Pferd einen Wink. Es setzte sich sofort in Bewegung.
»Sprich mit ihm«, sagte Isa. »Du musst den Befehl, den du gibst, immer wiederholen, bis er versteht, was er tun soll. Wenn er schneller wird, sagst du ›Ruhig‹ oder ›Hoooola‹, irgendetwas in einem beruhigenden Tonfall. Du darfst nur nicht nervös werden oder herumschreien.«
Won Da Pie fiel wieder in Trab. Aber er hatte seine überschüssige Energie verpulvert. Nach ein paar Runden wagte ich, ihm den Befehl zum Galoppieren zu geben. Mit Isa neben mir fühlte ich mich schon sicherer.
»Galopp!«, sagte ich und gab ihm einen Wink mit der Peitsche.
Und tatsächlich – er galoppierte an! Wiederum nach ein paar Runden sagte ich: »Teeeeerab! Hooo-la!« Und siehe da, das Pferd fiel in Trab, dann in den Schritt.
»Na also.« Isa
Weitere Kostenlose Bücher