Charlottes Traumpferd | Gefahr auf dem Reiterhof
kaum vorwärts. Doro verzog das Gesicht, als hätte sie Zahnschmerzen, sagte aber nichts.
»Sieht der Kessler nicht, dass der Schimmel da unten lahm geht?«, hörten wir Alex’ laute Stimme und starrten hinunter in die Reitbahn. Der einzige Schimmel in der Halle war Corsario.
»Der Schimmel mit der Dicken im Sattel!«, rief Alex. »Das ist ja wahrhaftig kein Aushängeschild für unseren Verein!«
»Mit der ›Dicken‹ meint er wohl Inga«, gluckste Karsten. »Sie zerreißt sich vor Wut, wenn ich ihr das gleich sage.«
»Du wirst dich unterstehen«, warnte Doro ihn.
Unten in der Reithalle veränderte sich urplötzlich die Situation, als Hanko, der dauernden Schenkelklopferei seiner Reiterin müde, diese mit einem einzigen gemeinen Bocksprung abwarf und sich daranmachte, Farina zu verfolgen. Hanko und Farina konnten sich nicht leiden, die Stute keilte nach dem frei laufenden Wallach aus. Wir hörten Herrn Kessler durch die dicken Scheiben brüllen. Während Farina und Hanko bockend durch die Reitbahn sausten, standen die anderen Reiter mit ihren Pferden verschreckt in den Ecken.
»Da wird einem doch gleich was geboten.« Alex erhob sich und verließ das Kasino. Wenig später sahen wir ihn in der Reithalle auftauchen. Er ergriff die Zügel des vorbeigaloppierenden Hanko. Gemeinsam mit Herrn Kessler fing er auch noch Farina ein. Die dunkelbraune Stute war entgegen ihrer sonstigen Lethargie ganz außer sich und tänzelte wie ein Rennpferd vor dem Start. Wir konnten nicht genau erkennen, wie es passierte, aber Farina sprang plötzlich herum und versetzte dem Reitlehrer einen Tritt gegen das Schienbein.
»Auwei!«, sagte Simon.
Herr Kessler humpelte mühsam von Alex gestützt aus der Halle, das Gesicht schmerzverzerrt. Wir blickten uns erschrocken an. Das sah nicht gut aus. Die beiden Reiterinnen hielten ängstlich die Zügel von Hanko und Farina umklammert. Alex kam zurück in die Reithalle marschiert und machte ungeduldig Zeichen, wir sollten das Fenster öffnen. Simon rüttelte am Fenstergriff, bis es endlich aufsprang.
»Sollen wir was helfen?«, fragte er.
»Hol jetzt sofort Frau Kessler, du Pfeife!«, brüllte Alex. »Marsch! Marsch!«
Wir grinsten. Es war zu schön, wenn Simon mal abgekanzelt wurde. Der setzte sich sofort in Bewegung, um die Frau des Reitlehrers zu rufen.
Herr Kessler saß mit bleichem Gesicht auf dem Stuhl in der Sattelkammer, als seine Frau kam. Alex telefonierte lautstark, orderte einen Krankenwagen und war ganz Herr der Lage.
»Hoffentlich ist es nichts Schlimmes«, sagte Annika besorgt, als wir mit beklommenen Gesichtern in der Stallgasse herumstanden. »Wer weiß, wer sonst heute Abend den Unterricht übernimmt.«
»Ich kann’s dir schon sagen, obwohl ich kein Hellseher bin.« Simon wies mit dem Kopf in Richtung Sattelkammer. »Der Oberfeldwebel da drin. Den Kessler hat’s übel erwischt, das sage ich euch.«
»Dann wird’s wohl nichts mit dem Reitabzeichen in den Herbstferien.« Susanne machte ein langes Gesicht. »So ein Mist.« In diesem Moment trat Alex aus der Tür und musterte uns kurz mit durchdringendem Blick.
»Warum rottet ihr euch hier zusammen?«, bellte er. »Ist das eine Verschwörung, oder was?«
»Wir wollten nur wissen, wie es Herrn Kessler geht«, piepste Annika schüchtern.
»Unterricht wird er heute Abend keinen mehr geben können«, verkündete Alex die frohe Botschaft.
»Macht nichts«, sagte Simon eilig. »Dann reiten wir eben nächste Woche.«
»Nein, nicht nötig.« Alex sah uns der Reihe nach an, als wollte er uns auffressen, und grinste boshaft. »Der Unterricht fällt nicht aus. Ich werde Herrn Kessler vertreten.«
»Was hab ich euch gesagt«, tuschelte Simon.
»Dann wird der Reitabzeichenlehrgang wohl ausfallen«, meinte Dani.
»Wieso denn das?«, erwiderte Alex. »Herr Kessler ist ja nicht tot. Und wie gesagt: Ich bin ja auch noch da.«
»Aber wir trainieren mit Herrn Kessler fürs Reitabzeichen«, sagte Susanne mutig. »Da ist es nicht gut, wenn wir auf einmal einen anderen Reitlehrer haben.«
»So ein Quatsch!« Alex rieb sich die Hände. »Bis Herr Kessler wieder fit ist, übernehme ich den Reitunterricht. Ich werde euch Bettnässer schon auf Trab bringen!«
Ich verspürte plötzlich nicht mehr die geringste Lust, die Sechs-Uhr-Stunde mitzureiten. Alex hatte in der Vergangenheit öfter den Reitunterricht vertretungsweise übernommen, wenn Herr Kessler verhindert oder im Urlaub war. Sein Unterricht war nichts für Zartbesaitete und
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