Charlottes Traumpferd | Gefahr auf dem Reiterhof
Selbsttränke und machte ausgiebig Pipi. Dann beschnupperte er seine Nachbarin, die New-Forest-Ponystute Nathalie, die aufgeregt quiekte. Herr Kessler reichte mir den Schlüssel für den Futterwagen.
»Gib ihm eine Schaufel Hafer und eine Schaufel Pellets und lass ihn erst mal in Ruhe fressen.«
Ich tat, wie mir geheißen. Danach standen Doro, Cathrin, Flori und ich in andächtigem Schweigen vor dem neuen Zuhause meines Pferdes und sahen ihm zu, wie er fraß.
»Ob er die anderen Pferde hier versteht?«, überlegte Flori.
»Wieso denn nicht?« Ich sah ihn überrascht an.
»Na, das sind schließlich deutsche Pferde«, erwiderte mein Bruder ernsthaft. »Und er kommt aus Frankreich.«
»Er wird schon Deutsch lernen«, beruhigte ich ihn undwandte mich dann meiner Freundin zu. »Und? Wie findest du ihn?«
»Also, wenn ich ihn so mit Corsario vergleiche, dann merkt man schon, dass er viel jünger ist. Er hat richtig … Power.« Doro schien echt beeindruckt. »Ich finde ihn große Klasse, Lotte. Ehrlich.«
Won Da Pie kaute zufrieden Hafer und Pellets, dann trank er etwas Wasser.
»Ich glaube, er fühlt sich wohl.« Ich spürte ein warmes Glücksgefühl in mir aufsteigen. »Mann, ich kann’s noch gar nicht fassen!«
»Schau mal, wer da kommt!« Doro stieß mich an. »Die werden es auch nicht glauben.«
Simon, Dani, Annika und Susanne traten aus dem Stall und schlenderten über den Hof, direkt zu Won Da Pies Box.
Wir nannten die vier nur »das Kleeblatt«. Sie gehörten zu den älteren Jugendlichen im Reitstall. Ein paarmal hatten sie schon die besseren Schulpferde auf kleineren Turnieren in der Umgebung reiten dürfen und nun kamen sie sich vor wie die Größten. Jeder von ihnen hatte sich eines der Schulpferde als Lieblingspferd und Quasieigentum auserkoren.
Mein Pech war es damals gewesen, dass ich ausgerechnet Liesbeth am liebsten gemocht hatte, denn die war Simons Pferd. Er wachte mit Argusaugen über die Kohlfuchsstute und duldete es nicht, dass jemand anders außer ihm sie pflegte. Gegen Simon mit seinem unverwüstlichen Selbstvertrauen kam man als zwölfjähriges Mädchen nicht an, deshalb war ich froh gewesen, als ich Gento als Pflegepferd bekommen hatte.
»Ah, da ist ja das neue Pferd«, sagte Annika. Natürlich hatte es längst die Runde gemacht, dass die Außenbox, die seit Gentos Verkauf leer gestanden hatte, wieder vermietetwar. Die vier beachteten uns nicht und drängten sich an die Box von Won Da Pie. Doro und ich gehörten zu den Jüngeren. Simons Bruder Karsten, sein Freund Oliver, Inga, Bille, Beate und Ralf waren ebenfalls in unserem Alter. Natürlich gab es noch eine Menge andere Jugendliche, doch wir waren der »harte Kern« und verbrachten fast den ganzen Tag im Reitstall, während die anderen meistens nur zu ihren Reitstunden kamen.
»Ich werde gleich mal den Kessler fragen, wem das Pferd gehört.« Simon betrachtete den braunen Wallach interessiert. »Sieht ja nicht schlecht aus. Vielleicht sucht der Besitzer eine Reitbeteiligung.«
Doro warf mir einen Blick zu, aber ich schüttelte nur leicht den Kopf. Sollten sie ruhig etwas spekulieren!
Der Reitlehrer kam gerade aus dem Stall. Er war auf dem Weg in die Halle, um mit dem Nachmittagsunterricht zu beginnen.
»Ach, Herr Kessler.« Simon marschierte direkt auf ihn zu. »Da ist doch heute ein neues Pferd gekommen, stimmt’s?«, hörten wir ihn sagen.
»Ja, das ist richtig«, bestätigte Herr Kessler. »Wieso?«
»Na ja.« Simon zögerte nicht lange, sein Selbstbewusstsein war wirklich nicht von schlechten Eltern. »Ich dachte mir, ich frage den Besitzer mal wegen einer Reitbeteiligung. Immer nur Schulpferde reiten ist irgendwann keine Herausforderung mehr.«
»Dann kannst du ja gleich fragen.« Der Reitlehrer wies mit einem Kopfnicken auf mich. »Da steht die Besitzerin doch.«
»Wer denn?«
»Charlotte. Ihr gehört das neue Pferd.«
Damit ging er weiter. Simon drehte sich wie in Zeitlupe zu mir um.
Auch die drei Mädchen starrten mich an. Es wäre gelogen, hätte ich behauptet, ich würde diesen Augenblick nicht genießen. Mühsam unterdrückte ich ein Grinsen, Doro gelang das nicht. Sie weidete sich an den fassungslosen Gesichtern des Kleeblatts. Ich merkte, wie sich mein Status in der Stallhierarchie innerhalb weniger Sekunden entscheidend veränderte. Die vier, die mich früher kaum beachtet und geflissentlich übersehen hatten, wenn sie mir woanders als im Reitstall begegnet waren, waren plötzlich zuckersüß.
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher