Charlottes Traumpferd | Gefahr auf dem Reiterhof
nur lustig, wenn man in sicherer Entfernung auf der Tribüne saß. Die anderen würden sich schön ins Fäustchen lachen, wenn es Won Da Pie heute Abend in der Reitstunde einfallen sollte, Unsinn zu machen.
Eine Viertelstunde später schaukelte der Krankenwagen mit Herrn Kessler an Bord vom Hof. Wir standen da und guckten belämmert hinterher wie Matrosen, wenn der Kapitän über Bord gegangen ist.
»So«, ließ Alex sich hinter uns vernehmen. »Um fünf vor sechs erwarte ich die komplette Mannschaft in der Halle zum Appell! Verstanden?«
Wir nickten, wenig begeistert.
»Na dann.« Alex ließ seine Fingerknochen knacken. »Dann ist ja alles unter Kontrolle.«
Mit großen Schritten ging er zurück ins Kasino zu seinem Freund.
»Alles unter Kontrolle«, murrte Dani. »Schöner Mist. Er wird uns fertigmachen.«
»Klar.« Annika nickte düster. »Auf so eine Gelegenheit hat er doch nur gewartet.«
Um kurz vor sechs hatten wir noch nichts Neues von Herrn Kessler gehört, aber wir ahnten, was uns bevorstand. Außer mir ritten Simon, Dani, Annika, Susanne, Cordula, Solveig und Kirsten auf Schulpferden mit. Ich würde mit Abstand die Jüngste in der Gruppe sein und meine Knie zitterten beim Satteln. Won Da Pie war munter wie immer und versuchte mich beim Anziehen des Sattelgurts in den Arm zu zwicken.
Ich fühlte mich wie ein Lamm auf dem Weg zur Schlachtbank, als ich mit meinem Pferd am Zügel um fünf vor sechs die Reithalle betrat. Alex stand schon breitbeinig in der Mitte der Bahn, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, und betrachtete uns mit wichtiger Miene. Die Tribüne war voller Zuschauer. Es hatte sich schnell herumgesprochen, dass Alex den Unterricht übernehmen würde. Für die Zuschauer war das meistens eine erheiternde Angelegenheit, denn Alex ließ keine Gelegenheit aus, die Reiter zu schikanieren und ihre Schwächen lauthals bloßzustellen. Je mehr Publikum er dabei hatte, desto wohler schien er sich zu fühlen. Heute Abend spielte er quasi vor ausverkauftem Haus.
Wir machten auf der Mittellinie unsere Pferde fertig undsaßen auf. Alex ging vor uns auf und ab und blieb schließlich vor mir stehen.
»Du!«
»Äh … ja?« Ich sah ihn unsicher an.
»Das heißt: jawohl!«, korrigierte Alex mich scharf. »Name?«
»Charlotte Steinberg.«
»Ach ja, richtig. Was hast du da für ein Pferd, Steinberg?«
»Es heißt Won Da Pie. Ich habe ihn erst seit ein paar Tagen.«
»Alter? Abstammung?«
»Er … er ist sechs, ein Franzose. Sein Vater ist Quidam de Revel.«
»Ach! Schau an! Wie kommst du zu so einem Pferd, Steinberg?«
»Das … das war Zufall. Ich hab ihn in Frankreich in den Sommerferien geritten und … und der Besitzer hat ihn mir verkauft.«
»So, so. Na gut. Werde ich im Auge behalten. Springpferd, was?«
»Ich weiß nicht. Ich hab ihn noch nicht so lange.«
Alle anderen waren mittlerweile schon aufgesessen. Ich setzte den Fuß in den Bügel. Prompt ging Won Da Pie rückwärts. Hilflos hüpfte ich hinterher. Mir wurde heiß.
»Bleib stehen«, flüsterte ich flehend. »Mach doch nicht gleich so einen Mist!«
»Steinberg!«, brüllte Alex. »Wie es in Frankreich ist, weiß ich nicht, aber hier in Deutschland wird auf der Mittellinie aufgesessen!«
Mein Blick fiel auf Simon, der hämisch grinste. Ich wurde feuerrot im Gesicht. Won Da Pie war beim Aufsitzen noch nie ruhig stehen geblieben, und auch jetzt trabte er an, während ich mich mühsam in den Sattel zog und beinahe noch vornüberkippte. Vereinzelte Lacher wurden auf der Tribüne laut, und Alex sah mir mit hochgezogenen Augenbrauen zu.
»Er ist noch nicht so besonders gut erzogen«, sagte ich entschuldigend und ordnete mich mit meinem Pferd wieder in Reih und Glied ein.
Alex ließ uns gleich eine Abteilung bilden und setzte mich ganz ans Ende. Won Da Pie war aufgeregt. Es war ungewohnt für ihn, mit so vielen Pferden in einer engen Halle zu gehen. Er tänzelte, schlug mit dem Kopf und wollte die vor uns gehende Liesbeth überholen. Ich versuchte an all das zu denken, was Nicolas mir immer wieder gesagt hatte. Zügel lang lassen, ruhig sitzen, Schultern zurück, Beine lang – nur nicht nach vorn fallen! Nachdem wir noch einmal nachgegurtet hatten, trabten wir an. Won Da Pie kaute eifrig am Gebiss, aber ich musste ihm dauernd Paraden geben, weil er viel raumgreifender trabte als die Schulpferde. Es nützte nicht viel, dass ich die Ecken so tief ausritt, wie es nur ging. An den langen Seiten holte Won Da Pie sofort
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