Charlottes Traumpferd | Gefahr auf dem Reiterhof
mittagsdie Küche aufräumen. Dazu musste ich den Hund bürsten und an zwei Nachmittagen in der Woche mit ihm spazieren gehen. Meistens traf ich mich dazu mit Doro und ihrem Hund Oscar und wir liefen in den Stall, wo unsere Hunde dann geduldig auf uns warteten, aber das wussten meine Eltern nicht. Jeden Abend musste ich noch dazu den Mülleimer rausbringen. Alle Pflichten waren zwischen uns vier Kindern aufgeteilt. Ob gerecht oder nicht, war Ansichtssache.
»Dein Zimmer ist nicht unbedingt Taschengeld für eine Woche wert.« Mein Vater schlug den Wirtschaftsteil der Tageszeitung auf. »Wenn du um zehn in den Stall gehst, kannst du vorher noch dein Zimmer aufräumen.«
»Den Saustall«, fügte meine kleine Schwester hinzu.
»Halt die Klappe!«, fuhr ich sie an, konnte mir aber einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen. »Die Flasche macht den Flaschendienst!«
Dieser Spruch brachte sie jedes Mal zur Weißglut. Auch dieses Mal verfehlte er seine Wirkung nicht. Cathrin hasste es, für Getränkenachschub und Leergut zuständig zu sein.
»Ich will den blöden Flaschendienst nicht mehr machen!«, heulte sie prompt wütend. Ich streckte ihr die Zunge heraus, sie trat unter dem Tisch nach mir.
»Hört ihr wohl auf zu streiten!«, ließ sich Papa hinter seiner Zeitung vernehmen.
Ich verschwand grinsend nach oben. In Windeseile hatte ich das Bett gemacht, den Schreibtisch aufgeräumt, die herumliegenden Kleidungsstücke entweder in den Schrank oder in den Wäschekorb im Bad geworfen, Staub gewischtund die Bücher ordentlich ins Regal gestellt. Aus jahrelanger Erfahrung wusste ich, worauf mein Vater bei der samstäglichen Kontrolle achtete. Ich fand das Zimmer in diesem Zustand grässlich, aber meinen Eltern gefiel es eben besser. Es hielt dann auch dem strengen Blick meines Vaters problemlos stand und ich durfte gehen.
»Darf ich über Mittag im Stall bleiben?«, fragte ich meine Mutter noch schnell, als ich den Griff der Haustür schon in der Hand hatte. »Heute ist Arbeitsdienst und später wird dann gegrillt.«
»Fürs Mittagessen wirst du wohl eine halbe Stunde Zeit haben«, sagte Mama.
Früher hätte ich lautstark protestiert, aber seitdem ich Won Da Pie hatte, hielt ich mich zurück. Schließlich hatten meine Eltern genug Geld für mich und mein Pferd ausgegeben, da durften sie mich auch herumkommandieren, wenn es ihnen danach war. Wenigstens ab und zu.
Gerade als ich mein gesatteltes Pferd aus der Box führte, um auf den Platz zu gehen, kamen mir Alex, Isa, Nicole und Merle auf ihren Pferden entgegen. Sie wollten einen Ausritt unternehmen.
»Willst du mitkommen?«, fragte Isa mich.
»Ja, komm doch mit«, sagte auch Merle.
Ich spürte, wie ich vor Stolz ganz rot wurde. Vor ein paar Wochen hätten sie kaum »Hallo« gesagt, und nun fragten sie, ob ich mit ihnen ausreiten wollte.
»Gerne!«, antwortete ich also.
»Wir reiten aber nicht nur Schritt«, warnte Alex.
»Ich werde es schon hinkriegen.« Ich schwang mich in den Sattel, bevor Won Da Pie rückwärtsgehen konnte. Leider hatte ich vor Aufregung vergessen, den Sattelgurt festzuziehen, und rutschte mitsamt dem Sattel unter den Bauch meines Pferdes. Der Blick, den Alex und Nicole jetzt tauschten, entging mir nicht. Das kann ja heiter werden, schienen sie zu denken. Verlegen rückte ich den Sattel gerade und gurtete ordentlich nach. Der Braune schnappte mit angelegten Ohren nach meinem Arm. Endlich saß ich oben.
»Los geht’s!«, rief Alex und wir ritten in den Wald. Es war das erste Mal seit unserem gemeinsamen Abenteuer in Frankreich, dass ich mit Won Da Pie ins Gelände ritt. Hier war es ganz anders als auf Noirmoutier! Unter dem grünen Blätterdach der Bäume war es angenehm kühl. Die Vögel sangen in den hohen Baumkronen. Eine leichte Brise ließ die Blätter rauschen. Auf Noirmoutier war im Sommer alles sonnenverbrannt und staubtrocken, außer ein paar Pinien gab es weit und breit keinen Wald, nur Salzsümpfe und Strände.
Der Hufschlag der Pferde auf dem weichen Waldboden war nur gedämpft zu hören. Das Sattelzeug knarrte, ab und zu schnaubte eines der Pferde. Meine vier Mitreiter unterhielten sich, und ich war einfach nur glücklich, in ihrer Gesellschaft sein zu dürfen. Alex schlug einen ganz anderen Weg ein als den, den ich von den wenigen Ausritten mit Herrn Kessler kannte. Wir überquerten die Straße, die am Eichwald von Neuenhain nach Schwalbach führte, und erreichten das freie Feld. Ich gurtete rasch noch einmalnach. Mittlerweile
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