Charlottes Traumpferd | Gefahr auf dem Reiterhof
hundertzwanzig Euro, dazu kommt noch die Mehrwertsteuer.« Der Schmied grinste. »Aber wenn du willst, kannst du mir das Geld auch gleich bar geben, dann wird’s billiger.«
In dem Moment tauchte Alex in der Schmiedeecke auf. Er hatte die letzten Worte des Hufschmieds gehört.
»Anstiftung zur Steuerhinterziehung – klare Sache«, stellte er fest. »Pass nur auf, dass dich niemand beim Finanzamt anzeigt!«
»Und du pass auf, dass dich die Polizei nicht anhält, wenn du mal wieder mit zehn Bier intus vom AltenburgerMarkt nach Hause fährst«, entgegnete der Schmied, der Alex zu kennen schien, mit einem Grinsen.
»Kann ich gehen?«, fragte ich vorsichtig.
»Ja, wir sind fertig.« Der Schmied zwinkerte mir zu. »Ich schicke dir die Rechnung.«
Ich brachte Won Da Pie in seine Box. Seine neuen Schuhe schienen gut zu passen, denn er rutschte auf dem nassen Beton am Abspritzplatz nicht mehr weg, wie es in den letzten Tagen öfter passiert war.
Ich musste mich beeilen, um vier Uhr begann der theoretische Unterricht bei Herrn Kessler im Kasino. Alle waren schon versammelt, als ich hereinkam. Inga saß zwischen Isa und Simon, ich stellte einen Stuhl ans Ende des Tisches.
»So«, begann der Reitlehrer in diesem Augenblick. »Nächstes Wochenende ist es also so weit. Ich hoffe, ihr habt euch alle ordentlich vorbereitet. Es gibt bei einer Reitabzeichenprüfung nichts Peinlicheres, als beim theoretischen Teil durchzufallen. Beim Reiten kann man selbst oder das Pferd einen schlechten Tag haben, aber die Theorie, die muss auf jeden Fall sitzen.« Er begann uns mit Fragen zu bombardieren.
»Ralf, was sind die sechs Gewährsmängel?«, fragte er.
»Koppen, Dummkoller, Dämpfigkeit …«, fing Ralf flüssig an, dann stockte er. »Kehlkopfpfeifen … äh …«
»Susanne?«
»Rotz und periodische Augenentzündung.«
»Und der siebte Gewährsmangel ist ein Trakehner«, flüsterte jemand. Wir kicherten.
»Sehr witzig«, sagte Ralf, dessen Stute eine Trakehnerinwar. Der Reitlehrer überhörte die Bemerkung und fuhr fort, unser Wissen abzufragen.
Was ist Mauke? Wie viele Griffelbeine hat das Pferd? Was sind Stellung und Biegung? Wie viele Zähne hat ein Wallach? Wir sahen uns verstohlen an und hofften, nicht gefragt zu werden.
»Simon?«
»Ja, also«, begann Simon. »Ein Wallach. Wie viele Zähne hat ein Wallach? Nun ja …«
»Darauf gibt es eine klare Antwort«, sagte Herr Kessler.
»Vierzig«, tuschelte Inga vernehmlich und lächelte Simon von der Seite an.
»Danke«, erwiderte der unwirsch. »Das wusste ich auch. Mir ist es nur nicht eingefallen.«
Nach der Theoriestunde war der Reitlehrer alles andere als zufrieden mit uns.
»Ich komme mir vor wie in einer Raterunde«, sagte er ärgerlich. Auch ich hatte auf zwei seiner Fragen, die an mich gerichtet waren, keine Antwort gewusst. Er verdonnerte uns dazu, das gelbe Büchlein, das er uns empfohlen hatte, bis zum nächsten Wochenende auswendig zu lernen.
»Wer in der Theorie durchfällt, ist bei mir untendurch«, drohte er noch und wir blieben belämmert zurück, während er mit Krücken und Gipsbein davonhinkte. Da fiel mir etwas ein.
»Herr Kessler!«, rief ich und sprang auf.
»Was ist?« Der Reitlehrer blieb stehen und musterte mich ungehalten.
»Der Schmied hat eben gesagt, dass Won Da Pie Strahlfäule habe«, sagte ich. »Was kann ich dagegen tun?«
»Hättest du das gelbe Buch gelesen, wüsstest du es«, antwortete er ungnädig und ich ließ den Kopf hängen.
»Ich musste so viel für die Schule lernen«, gestand ich. »Aber bis nächste Woche kann ich jedes Wort auswendig. Das schwöre ich!«
»Na gut.« Herr Kessler schien einigermaßen besänftigt und er versprach, mir ein wirksames Mittel zu geben. Er drehte sich um und rief Isa, die sich von ihrem Hocker erhob und zu uns kam.
»Hilf Charlotte bitte, die Strahlfäule bei ihrem Pferd zu behandeln«, sagte er und Isa nickte. Wir gingen hinunter in den Stall.
»Wenn es noch nicht so schlimm ist, kann man es mit Jodoformäther oder Wasserstoffperoxid behandeln«, erklärte Isa. »Aber du musst vorsichtig damit umgehen, denn das sind Chemikalien.«
Ich nickte, obwohl ich nichts verstand und mir auch nicht vorstellen konnte, was ich tun sollte.
Wenig später wusste ich es. Isa hatte aus der verschlossenen Stallapotheke in der Sattelkammer ein braunes Glasfläschchen, Watte und eine Einwegspritze geholt und begleitete mich nun zu Won Da Pie. Ich zog meinem Pferd das Halfter über und führte es
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