Charlottes Traumpferd | Gefahr auf dem Reiterhof
letzten Zeit hatte es gelegentlichGerüchte gegeben, er würde den Verein verlassen. Offensichtlich entsprach das der Wahrheit.
Diese Neuigkeit ließ für mich zwar nicht unbedingt die Welt zusammenbrechen, aber ich würde es bedauern, wenn Herr Kessler wegging, denn er war wirklich ein prima Reitlehrer. Zwar war sein Unterricht längst nicht so anspruchsvoll und abwechslungsreich wie der von Alex oder Nicolas, aber Herr Kessler hatte viel Geduld, gerade mit Anfängern. Außerdem schikanierte er niemanden mit der Zuteilung der Schulpferde, wie Alex das zu gern tat.
Wenn man partout nicht mit einem der Schulpferde zurechtkam, musste man es bei Herrn Kessler nicht reiten. Alex dagegen teilte einem mit Absicht immer genau das Pferd zu, das man nicht mochte. Er hatte einfach Spaß daran, die Leute zu ärgern.
»Wir werden die Stelle ausschreiben«, sagte Herr Stark nun. »Vielleicht lässt Herr Kessler sich dazu überreden, noch etwas länger zu bleiben, falls wir nicht bis Ende des Jahres einen geeigneten Nachfolger finden.«
Sie verließen die Sattelkammer, und ich fuhr fort, mein Pferd zu putzen. Das war echt schade! Herr Kessler und der Reitstall, die gehörten zusammen, seitdem ich mich erinnern konnte. Irgendwie würde etwas fehlen, wenn der Reitlehrer nicht mehr da war. Ich hörte Absätze klacken, Sekunden später tauchte Alex in der Schmiedeecke auf. Sein Pferd stand in einer der vier Außenboxen.
»Na, Steinberg.« Sein Blick wanderte argwöhnisch von mir zu dem kleinen Fenster und zurück. »Hast du gelauscht?«
Er wartete meine Antwort nicht ab, öffnete die Boxentür und holte seinen Fuchswallach heraus. Ich brachte Won Da Pie eilig in seine Box und machte mich auf die Suche nach den anderen. Karsten und Oliver waren auch da, ihre Fahrräder standen neben der Einzelbox, die zurzeit nicht belegt war. Ich fand sie im Stall. Nicole putzte ihre Rappstute Natascha, und die beiden hockten neben ihr auf einem Strohballen und himmelten sie an.
»Kommt ihr mit, eine Cola trinken?«, fragte ich die beiden Jungs.
»Nee«, erwiderte Karsten, ohne den Blick von Nicole zu wenden. Die sah wieder aus, als wäre sie gerade vom Laufsteg einer Modenschau gestiegen. Der rote Kaschmirpullover passte farblich zu ihren Fingernägeln, die blonden Haare hatte sie hochgesteckt. Ihre beigefarbene Reithose war makellos sauber, die Lederreitstiefel glänzten. Irgendwie gelang es Nicole immer, hübsch und gepflegt auszusehen. »Adrett«, wie meine Oma so etwas nannte. Nicole streifte mich mit einem kurzen Blick und zog die Augenbrauen hoch. Sofort fühlte ich mich schlampig und plump. Mein Sweatshirt und die Jeans waren übersät mit Flecken und Strohhalmen; meinen Pony, den ich vor drei Tagen mit einer Nagelschere selbst geschnitten hatte, war schief und ich hatte einen fiesen Pickel im Mundwinkel.
»Wir haben gerade schon was getrunken«, sagte Oliver.
Normalerweise waren die beiden echt vernünftige Kumpel. Aber sie waren eben Jungs und als solche manchmal unausstehlich, wenn sie zum Beispiel ihre Machoanfälle und wir Weiber von nichts eine Ahnung hatten. Ich drehtemich um und ging wieder. Sollten sie die blöde Nicole doch weiter anschmachten, dann würden sie die Neuigkeit über Herrn Kessler eben nicht erfahren!
Ich traf Doro und Inga vor der Reithalle. Natürlich erzählte ich ihnen sofort brühwarm, was ich vorhin belauscht hatte. Wir vereinbarten, niemandem davon zu erzählen, aber die Ohren offen zu halten.
Nicole kam mit ihrem Pferd aus dem Stall, treulich gefolgt von Oliver und Karsten.
»Halt mir doch bitte mal gegen«, gurrte sie, und beide Jungs hechteten sofort auf die rechte Seite des Pferdes und grapschten nach dem Steigbügel.
Alex kam vom Platz geritten, als Nicole sich im Sattel zurechtsetzte. »Da bist du ja endlich«, sagte er, dann warf er den Jungs einen kurzen Blick zu. »So, ihr dürft jetzt wieder mit den kleinen Mädchen spielen. Husch, husch!«
Doro, Inga und ich kicherten. Oliver und Karsten setzten gekränkte Mienen auf und blickten sehnsüchtig hinter ihrer Herzdame her, die mit Alex in den Wald ritt, ohne die beiden auch nur noch eines Blickes zu würdigen.
»Kommt«, sagte Doro zu Inga und mir. »Lasst uns ins Kasino gehen und was trinken.«
»Wir kommen mit«, sagte Oliver.
»Ach!« Ich warf ihm einen spöttischen Blick zu. »Ich dachte, ihr hättet gerade erst was getrunken.«
Im Stall dröhnte das verstaubte Uralt-Kofferradio von Herrn Schmidt. Herr Kessler sagte dem
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