Charlottes Traumpferd | Gefahr auf dem Reiterhof
Pferdepfleger immer wieder, er solle das Gerät nicht so laut stellen, aberHerr Schmidt behauptete, er könne mit Musik doppelt so schnell arbeiten als ohne. Wir fanden das eigentlich auch okay, wenn Herr Schmidt nur nicht immer einen grausigen Volksmusiksender eingestellt hätte. Im Vorbeigehen drehte Oliver an einem der Knöpfe, bis er einen gescheiten Sender gefunden hatte. Das tat er öfter, nur um den Pferdepfleger zu ärgern. Und auch diesmal dauerte es nur Bruchteile von Sekunden, bis Herr Schmidt angeschossen kam. Er war ein übellauniger, drahtiger Giftzwerg, dem die komplette obere Zahnreihe fehlte. Sommers wie winters trug er einen speckigen Jeansanzug, von dem wir annahmen, dass er auch darin schlief.
Gelegentlich gab es Beschwerden über ihn und sein ungepflegtes Äußeres, aber Herr Kessler nahm ihn regelmäßig in Schutz. Trotz allem war der Pferdepfleger zuverlässig.
»Ich hab dir schon hundert Mal gesagt, du sollst deine Pfoten von meinem Radio lassen«, pflaumte er Oliver an. »Das nächste Mal stech’ ich dir die Mistgabel in den Arsch!«
»Hoffentlich vertragen Sie das Echo«, erwiderte Oliver furchtlos. Ich verdrückte mich in den Hintergrund. Herr Schmidt war mir unheimlich, und auch wenn ich wusste, dass er seinen schrecklichen Drohungen niemals Taten folgen ließ, ging ich ihm lieber aus dem Weg.
Er drehte an den Knöpfen des Radios und regte sich furchtbar auf, als er seinen Lieblingssender nicht mehr fand. Wir anderen grinsten, nur Inga, die hin und wieder einen sozialen Tick hatte, verspürte Mitleid.
»Warten Sie, Herr Schmidt«, sagte sie, »ich helfe Ihnen!«
»Hände weg von meinem Radio!«, zeterte das Männleinerbost. Aber Inga wollte unbedingt etwas Gutes tun und ließ sich nicht beirren.
»Ich sagte: Hände weg!«, regte sich der Pferdepfleger auf und versuchte, Inga zur Seite zu drängen. »Weg jetzt, du dicke Kuh!«
In dem Moment dröhnte das Kufsteinlied durch die Stallgasse, und Herr Schmidt war auf der Stelle besänftigt.
»Bitte sehr.« Inga lächelte mild, trotz der Beleidigung. Wir anderen lachten Tränen.
»Er ist nur so giftig, weil er einsam ist«, erklärte sie uns.
»Er ist einsam, weil er ein alter schmutziger Giftzwerg ist«, berichtigte Karsten sie.
»Du kannst ihm ja ein bisschen Gesellschaft leisten«, schlug Oliver vor. »Ich kann mir genau vorstellen, wie du ihn aus seinem Jeansanzug pellst und ihm saubere Unterhosen anziehst. Oder am besten steckst du ihn mitsamt seinem Anzug in die Waschmaschine bei 95 Grad.«
»Und vielleicht findest du ja sogar sein Gebiss, wenn du seine verstunkene Bude putzt«, spottete Karsten. Wir grölten vor Lachen, aber Inga ließ sich nicht aus dem Konzept bringen.
»Es kann jedem von uns so ergehen«, predigte sie uns, wie die Vorsitzende der Heilsarmee. »Ein Schicksalsschlag – und man wird zum Trinker. Herr Schmidt hatte sich sein Leben ganz sicher anders vorgestellt. Er war auch einmal ein ganz normaler Mensch mit Wünschen und Träumen.«
Darüber mussten wir noch mehr lachen.
»Ihr seid wirklich das Allerletzte«, tadelte Inga uns scharf. »Ich finde es total schlimm, dass ihr euch über andereMenschen, denen es nicht so gut geht wie euch, lustig macht.«
Manchmal konnte sie eine echte Moraltante sein. Während Inga sich noch mit Oliver und Karsten herumstritt, betrat ein junger Mann in Reithosen und Reitstiefeln die Stallgasse auf der anderen Seite.
»Guten Tag«, sagte er nur, als er an uns vorbeiging. Wir blickten ihm nach. Fremde im Stall weckten immer unsere Neugier.
»Wer war das denn?«, wollte Doro wissen.
»Vielleicht der neue Reitlehrer«, flüsterte ich leise, aber Oliver hatte Ohren wie ein Luchs.
»Neuer Reitlehrer?«, fragte er neugierig. »Wie kommt ihr auf so was?«
»Das sagen wir euch nicht«, erwiderte ich. »Als ich es euch eben erzählen wollte, musstet ihr ja die schöne Nicole anschmachten.« Ich ahmte einen hechelnden Hund nach und Doro kicherte.
»Komm, jetzt sei nicht albern.« Karsten tat cool. »Die Nicole ist doch ’ne Zicke.«
»Ach, auf einmal!«, amüsierte Doro sich. Inga lehnte mit verschränkten Armen an der Wand und schmollte, weil wir sie nicht im Kampf für die Menschenrechte des sozial benachteiligten Pferdepflegers unterstützt hatten.
»Okay«, sagte ich dann. »Das kostet euch aber was. Cola und Schokoriegel für uns alle drei.«
»Das ist zwar Erpressung, aber meinetwegen«, stimmte Oliver zu. Oben im Kasino setzten wir uns nicht wie üblich an den
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