Charlottes Traumpferd | Gefahr auf dem Reiterhof
Lederputzzeug in meine Putzkiste. »Das war nicht persönlich gemeint.«
Das wollte ich auf jeden Fall gerne glauben. Die Vorstellung, dass es im Stall jemanden gab, der mich genug hasste, um mir so etwas anzutun, war für mich unerträglich. Gerade als Doro zu einer Antwort ansetzte, klingelte das Stalltelefon auf dem Schreibtisch. Da Herr Kessler Reitstunde gab und behindert durch seinen Gips und die Krücken nicht so schnell ans Telefon gehen konnte, nahm Dorothee den Hörer ab.
»Reitverein Bad Soden«, meldete sie sich. Ich drückte neugierig auf die Lautsprechertaste. Der Anrufer wollte Herrn Kessler sprechen.
»Der gibt gerade Reitstunde«, teilte ihm Doro mit. »Soll ich ihm was ausrichten?«
»Sag ihm, ich schaff’s heute nicht mehr, den Gaul zu holen«, erwiderte der Mann am anderen Ende der Leitung. »Morgen früh gegen acht bin ich da. Wäre gut, wenn der Gaul dann so weit wäre. Hast du das verstanden?«
»Nicht wirklich«, entgegnete meine Freundin spitz. »Gäule gibt es hier im Stall nicht.«
»Dann eben das Pferd. Okay?«
»Vielleicht könnten Sie mir noch mal Ihren Namen sagen und Ihre Telefonnummer.« Ich musste grinsen.
»Mein Name ist Brucker. Kessler hat meine Nummer.«
»Aha, ja. Hm. Und um welches Pferd geht es? Nur für den Fall, dass ich vergesse, was ich ausrichten soll.«
Jetzt stellte Doro sich mit Absicht dämlich.
»So viele achtzehnjährige Stuten gibt es bei euch im Schulbetrieb wohl nicht«, sagte der Anrufer. »Hast du’s mitgeschrieben?«
»Ich kann gar nicht schreiben«, erwiderte Doro ironisch. »Ich bin ja gerade erst fünf geworden.«
»Verarschen kann ich mich selber«, sagte der Mann und legte auf.
»Was für ein Depp!« Doro knallte den Hörer auf die Gabel.
»Es gibt nur eine achtzehnjährige Stute«, überlegte ich. »Und das ist Arabella.«
»Sag bloß, der Kessler will sie diesem Idioten verkaufen!« Doro war empört.
»Hm. Hat fast so geklungen, oder?«
Arabella war – abgesehen von Sporty – das älteste und bravste Schulpferd im Stall, der unbestrittene Liebling aller unerfahrenen und unsicheren Reiter. Die braune Stute kannte alle Kommandos des Reitlehrers auswendig und gehorchte automatisch. Für erfahrene Reiter war sie deshalb langweilig, aber die sanfte Arabella hatte den größten Fanclub von allen Schulpferden, wurde verwöhnt und geputzt. Keiner der Pferdepfleger musste ihr lahmes Bein behandeln, das hatten die Arabella-Fans übernommen.
»Aber Arabella geht doch seit Wochen lahm. Wer kauft denn die noch?«
Wir schlossen die Tür der Sattelkammer ab und gingen in die Reithalle.
»Da war ein Herr Brucker am Telefon«, verkündete Doro dem Reitlehrer. »Er hat gesagt, er würde es heute nicht mehr schaffen und wäre dann morgen früh gegen acht Uhr hier. Und dann soll das Pferd fertig sein.«
Diese Nachricht schien Herrn Kessler nicht zu gefallen. Er blickte auf die Uhr und zog eine ärgerliche Miene.
»Wird Arabella verkauft?«, wagte ich zu fragen. Der Reitlehrer gab mir keine Antwort, steckte den Sattelkammerschlüssel ein und wandte sich wieder ab, um sich um seine Reitschüler zu kümmern. Das war für mich eine Bestätigung unserer Annahme. Arabella sollte tatsächlich verkauft werden! Es würde mindestens zwanzig Leuten im Stall das Herz brechen, wenn das Pferd morgen einfach verschwunden war.
»Das ist ja ein Ding.« Doro schüttelte den Kopf. »Wie können sie denn nur das älteste und treueste Schulpferd verkaufen?«
»Wahrscheinlich, weil sie alt ist und kein Geld mehr einbringt«, vermutete ich. Oben im Kasino ging das Licht an. Ein Zeichen dafür, dass Herr Boshof gekommen war. Im Stall war nichts los. Wir blieben auf dem Weg ins Kasino kurz vor der Box stehen, in der Arabella seit ein paar Wochen untergebracht war. Zufällig genau neben Corsario. Die Stute, die normalerweise in der ersten Box direkt neben der Tür zur Sattelkammer stand, hatte das Hinterbeinentlastet und kaute zufrieden ihr Heu. Sie ahnte nicht, dass heute wohl ihr letzter Tag in diesem Stall sein würde.
»Arme Arabella«, sagte ich. »Wer weiß, wo sie dann hinkommt.«
Wir verließen den Stall, gingen die Treppe hinauf und betraten das Kasino. Dort setzten wir uns an einen Tisch direkt am Fenster. Herr Boshof brachte jedem von uns eine Cola, und ich blätterte in einer alten Ausgabe der Reiter Revue , die auf dem Nachbartisch gelegen hatte. Die Tür ging auf, Susanne und Annika kamen herein und setzten sich zu uns. Ich las die Verkaufsanzeigen im
Weitere Kostenlose Bücher