Charlottes Traumpferd | Gefahr auf dem Reiterhof
schien ihr meine belämmerte Miene aufzufallen.
»Was ist? Kommst du etwa nicht?«, fragte sie.
»Mich hat sie nicht eingeladen.«
Ich tat, als würde mir das nichts ausmachen, aber ich spürte, wie eine Welle der Enttäuschung in mir aufstieg. Mit aller Macht kämpfte ich gegen die Tränen. Es gab wohl nichts Peinlicheres, als im Schulbus zu heulen. Ich fühlte mich gekränkt und ausgeschlossen. Alle würden zusammen feiern – nur ich nicht! Und Doro hatte mir nicht einmal davon erzählt, dass Inga eine Party veranstaltete! Ich war am Boden zerstört, als ich wie betäubt vom Bus durch den Alten Kurpark nach Hause ging. Zu Hause wäre ich am liebsten sofort in meinem Zimmer verschwunden. Zur Wahl des Jugendvorstands würde ich hundertprozentig nicht gehen! Ich wollte sie alle nicht mehr sehen, keinen einzigen von diesem hinterhältigen Pack, das ich für meine Freunde gehalten hatte!
Doch mein Vater fing mich an der Haustür ab.
»Charlotte, komm mal bitte mit in mein Arbeitszimmer«, sagte er mit versteinerter Miene zu mir. Ich stellte meinen Ranzen auf die Treppe.
»Was ist denn los?«, fragte ich meine Mutter, die mit genauso ernstem Gesicht aus der Küche kam. Beklommen und mit einem unguten Gefühl im Magen folgte ich meinen Eltern ins Arbeitszimmer. Meine Mutter schloss die Tür hinter sich. Ich überlegte fieberhaft, was ich wohl verbrochenhaben könnte, aber mir fiel nichts ein. Seitdem ich Won Da Pie hatte, benahm ich mich in der Schule mustergültig, hatte weder eine schlechte Note geschrieben noch einen Eintrag ins Klassenbuch gekriegt.
»Herr Kessler und Herr Stark waren vorhin hier«, verkündete mein Vater. »Sie haben einen anonymen Brief bekommen, den sie sehr ernst nehmen. Es geht um das, was mit deinem Sattel passiert ist.«
Ich starrte meinen Vater verständnislos an. Er reichte mir die Kopie eines Briefes, der mit Computer geschrieben worden war.
»Charlotte Steinberg hat ihren Sattel selbst mit Wasserstoffperoxid übergossen, ihre Freundin Dorothee Friese war dabei. Die leere Flasche befindet sich in Charlottes Spint«, stand da.
Mir wurde schwindelig.
»Stimmt das, Charlotte?«, fragte mein Vater.
Ich blickte ihn fassungslos an, erschüttert, dass er mir so etwas überhaupt zutraute. »Nein!«, flüsterte ich entsetzt. »Warum hätte ich das tun sollen?«
»Herr Kessler sagte uns, dass du tatsächlich eine Flasche mit Wasserstoffperoxid von ihm bekommen hast, um damit dein Pferd zu behandeln.«
»Nein, ich habe keine Flasche bekommen, ich habe die benutzt, die in der Stallapotheke war. Won Da Pie hatte ein bisschen Strahlfäule. Aber wieso hätte ich selbst meinen neuen Sattel ruinieren sollen, und das auch noch eine Stunde vor der Reitabzeichenprüfung? Das macht dochüberhaupt keinen Sinn!« Ich zitterte am ganzen Körper, meine Gedanken rasten.
»Dieser Meinung sind wir auch«, erwiderte mein Vater. »Aber woher kommt dann dieser Brief? Wer kann so etwas behaupten?«
Ich war völlig durcheinander, starrte auf die Buchstaben, die vor meinen Augen verschwammen. Mein Herz klopfte mir bis in den Hals. Ein Wort stach mir ins Auge. Und plötzlich kam mir ein ungeheuerlicher Verdacht! Nein, das konnte nicht sein! Oder doch?
»Ich bin gleich wieder da«, krächzte ich mit heiserer Stimme und drückte meinem Vater das Blatt in die Hand. Ich stürmte aus dem Arbeitszimmer und rannte beinahe meine kleine Schwester über den Haufen, die neugierig an der Tür gelauscht hatte. Mit ein paar Sätzen sauste ich die Treppe hoch in mein Zimmer und durchwühlte hektisch meinen Schreibtisch, bis ich fand, wonach ich suchte. Inga träumte davon, Schriftstellerin zu werden und schrieb immer wieder Geschichten, die sie allen möglichen Leuten zum Lesen gab. Im Frühjahr hatte sie mir ihr neuestes Machwerk überlassen, das in einem Reitstall spielte und in der die Figuren fantastische Abenteuer erlebten. Ich überflog ein paar Seiten, bis ich das Kapitel gefunden hatte, nach dem ich suchte. Mit dem Hefter in der Hand rannte ich wieder nach unten und reichte meinem Vater die Blätter.
»Das hier ist eine Geschichte, die Inga geschrieben hat«, erklärte ich atemlos. »Sie schreibt das Wort ›Spind‹ immer mit einem ›t‹ hinten. Darüber haben wir schon ein paarmal gestritten, weil ich sicher bin, dass man es mit ›d‹ schreibt.«
Mein Vater verstand nicht, worauf ich hinauswollte. Da nahm ich die Kopie des anonymen Briefes und wies auf das letzte Wort.
»Hier«, sagte ich. »Da steht:
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