Charlottes Traumpferd
Bad Soden war ich nur eines von vielen pferdeverrückten Mädchen. Die Ãlteren und die Privatreiter wachten eifersüchtig über ihre Pferde und ihre Rechte. Mit viel Glück durfte ich vielleicht mal den Wasserschlauch aufdrehen, wenn einer von ihnen sein Pferd abspritzen wollte. Mehr war undenkbar. Ich hätte mich auch niemals in den Vordergrund gedrängt. Als dreizehnjährige Schulreiterin war man in der Hierarchie des Reitstalles ein Nichts und mehr war ich nicht mehr â ohne Gento. Umso schöner war die Erfahrung, dass Nicolas, der mich doch eigentlich kaum kannte, mir eine solch groÃartige Aufgabe zutraute. Ich würde ihn sicher nicht enttäuschen!
Fast den ganzen Tag verbrachte ich bei dem braunen Pferd. Mit den Ãpfeln und Möhren lockte ich es immer wieder in meine Nähe. Ich legte die Leckerbissen ein paar Meter von mir entfernt ins Gras und wartete, bis die Verfressenheit siegte und das Pferd sie sich holte.
Mittags durfte ich wieder mitessen, Sophie und Thierry saÃen auch am Tisch. Es war ein tolles Gefühl, ganz selbstverständlich dazuzugehören. Aber es hätte mir noch mehr Spaà gemacht, wäre Thierry nicht gewesen. Er stichelte herum und machte blöde Bemerkungen, genau wie Phil. Davon lieà ich mich aber nicht ins Bockshorn jagen.
»Hast du Lust, jetzt gleich um drei mit in die Salzsümpfe zu reiten?«, fragte Véronique nach dem Essen.
»Ich habe mich doch erst wieder für morgen Abend eingetragen«, erwiderte ich überrascht.
»Na ja, dafür, dass du hier schuftest wie ein Stallknecht, kannst du wenigstens etwas reiten«, erwiderte Nicolas, und ich wurde vor Freude mal wieder knallrot.
»Aber ich habe keine Kappe und keine Stiefel dabei«, fiel mir voller Schrecken ein.
»Eine Kappe finden wir schon«, beruhigte Véronique mich, »und du kannst die Chaps von Cécile nehmen.«
»Wen möchtest du denn reiten?« Nicolas sah mich an.
»Nimm doch das Wildpferd«, schlug Thierry wenig freundlich vor. »Ich würde gerne mal ein richtiges Rodeo sehen.«
»Halt die Klappe, Thierry!«, fuhr Nicolas seinen Neffen an. »Verschwinde lieber wieder an den Strand, bevor ich mich über dich ärgern muss.«
Thierry feixte und verdrückte sich.
»Wie wäre es mit Hirondelle?«, schlug Véronique vor. »Die könnte mal wieder ein bisschen Bewegung brauchen.«
Da war sie wieder, die Angst! Hirondelle, die zierliche Fuchsstute mit dem weiÃen Ring um die Augen, war sehr temperamentvoll.
Mit weichen Knien schlich ich zum Stall wie zu meiner Hinrichtung. Die vier Reiter für den Nachmittagsausritt waren schon eingetroffen. Rémy und Cécile sattelten mit Lucky Luke, Kébia, Caramel und Gosse dâIrlande die bravsten Pferde. Ich putzte Hirondelle, die dauernd mit dem Kopf schlug und auf ihren schlanken, weià gefesselten Beinen herumtänzelte.
»Wirf mich bloà nicht ab«, flüsterte ich, als ich ihr den Sattel auf den Rücken legte. »Bitte, sei lieb.«
Mit zitternden Fingern schnallte ich die Trense zu und führte die Stute hinaus auf den Hof. Cécile gab mir ihre Chaps, die ich mir ungeschickt um die Waden schnallte. Ich war noch nie mit solchen Dingern geritten. Die Kappe, die Véronique mir gegeben hatte, passte wenigstens einigermaÃen. Ich zog den Gurt fest und schwang mich beherzt in den Sattel. Hirondelle tänzelte.
»Kannst du ganz hinten reiten, Charlotte?«, bat Véronique, als alle im Sattel saÃen.
Ich nickte stumm, meine Hände krampften sich um die Zügel.
Wir ritten um den Kartoffelacker herum und dann auf die StraÃe. Hirondelle fing an, mit dem Kopf zu schlagen.
»Hör doch auf«, sagte ich und zog am Zügel, woraufhin sie einen Bocksprung machte. Meine Angst wuchs. Wie sollte ich diesen Ausritt nur überstehen? Vor mir schaukelten die vier Reiter auf den braven Schulpferden und unterhielten sich lachend. Was hätte ich darum gegeben, auf dem gutmütigen Gosse zu sitzen oder auf dem gemütlichen Caramel! Hirondelle hingegen wurde immer nervöser und begann richtig zu spinnen. Sie kam mit ihren Hufen den geparkten Autos bedrohlich nahe und mir brach der Angstschweià aus, als sich von hinten plötzlich ein Lkw näherte. Auch das noch! Das Ungetüm kam immer dichter heran, und mir gelang es nicht mehr, die Stute zu beruhigen. Leider dachte der Fahrer des Lasters nicht
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