Charlottes Traumpferd
daran, das Tempo zu verringern. Stattdessen drückte er sogar noch auf die Hupe.Ich sah sein grinsendes Gesicht, als Hirondelle erschrocken zur Seite in den Kartoffelacker sprang. So ein Idiot!
Véronique schien bis dahin meine Schwierigkeiten mit der Fuchsstute nicht bemerkt zu haben.
»Charlotte!«, rief sie nur. »Lass die Zügel locker! Nicht ziehen! Bleib ruhig!«
Ruhig bleiben! Sie hatte gut reden! Ich saà auf einem kopflosen Pferd und war selbst einer Panik nahe.
»Zügel locker lassen!«, befahl ich mir selbst und tat es. Dabei richtete ich mich im Sattel auf. Doch Hirondelle hatte gemerkt, dass sie sich von den anderen Pferden entfernt hatte, und drehte sich so abrupt um, dass ich einen Bügel verlor und an ihrer Seite hing. Verzweifelt klammerte ich mich an der Mähne der Stute und an den Zügeln fest.
Die Tränen schossen mir in die Augen. Der Lkw stoppte mit quietschenden Bremsen und Hirondelle sprang mit einem Satz zurück auf die StraÃe. Noch immer hing ich wie ein nasser Sack am Hals der Fuchsstute, wild entschlossen, nicht vor aller Augen vom Pferd direkt vor die Schnauze des Lastwagens zu fallen. Das wilde Geklapper der Hufe auf dem Asphalt lockte Schaulustige an. Neugierig gafften sie über ihre Gartenzäune. Genau wie meine vier Mitreiter bestaunten sie belustigt die akrobatische Zirkusnummer, die ich auf der StraÃe aufführte.
Am liebsten wäre ich vor Scham im Erdboden versunken! Auf Liesbeth oder Goldi konnte ich reiten, in der Reithalle. Ja, da kam ich mir vor wie eine gute Reiterin, aber hier, im Gelände, da zeigte sich, dass ich nichts anderes war als die vier Touristen: eine blutige Anfängerin!
Véronique hatte endlich gemerkt, dass ich ernsthafte Probleme hatte, und schrie dem Lkw-Fahrer ein paar sehr unhöfliche Dinge zu.
Endlich gelang es mir, mich wieder in den Sattel zu ziehen. Ich angelte mit dem rechten Fuà nach dem Steigbügel und erwischte ihn.
Der Lkw rollte langsam vorbei.
»Ist alles in Ordnung, Charlotte?«, fragte Véronique besorgt. »So ein blöder Kerl mit dem Lkw!«
Am liebsten wäre ich nach diesem Zwischenfall vom Pferd gesprungen und hätte Hirondelle am nächsten Gartenzaun angebunden, aber Véronique würde mir sicher nie wieder anbieten, eines ihrer besseren Pferde auf einem Ausritt zu reiten, wenn ich jetzt feige umkehrte. Ich biss also die Zähne zusammen und nickte. Irgendwie musste ich diese Stunde durchstehen und das Pferd heil zurück in den Stall bringen.
Wir überquerten im Schritt die StraÃe, die nach LâHerbaudière führte, und erreichten die Marais. Véronique trabte an. Hirondelle hatte einen weichen, schwungvollen Trab. Die Stute war ganz weich im Maul und ich merkte, dass sie nur dann mit dem Kopf schlug, wenn ich sie zu sehr festhielt, deshalb lieà ich die Zügel ein wenig länger.
Die Sonne brannte heià vom wolkenlosen blauen Himmel. Auf Noirmoutier regnete es im Sommer manchmal wochenlang nicht, deshalb war das Gras nicht saftig grün, sondern gelbbraun und der ausgetrocknete Boden war hart wie Beton und von Furchen und Rissen durchzogen. Herr Kessler hätte uns zu Hause niemals auf einem so harten Bodentraben lassen, aber den Pferden schien es nichts auszumachen. Wir trabten einen Weg entlang, der von meterhohen gelb blühenden Ginsterbüschen gesäumt war. Dann ging es um eine scharfe Kurve und wir erreichten den einzigen etwas breiteren Weg in den Marais.
»Au galop!«, rief Véronique.
Hatte mein Pferd das als Startschuss für ein Rennen verstanden? Hirondelle schoss nach vorne, ich hatte Mühe, sie hinter Caramel zu halten. Wieder begann sie, mit dem Kopf zu schlagen, dann bockte sie. Einmal, zweimal, dreimal hüpfte sie wie eine Heuschrecke und bohrte dabei mit dem Kopf nach unten. Ich kippte nach vorne und zog dabei die Absätze hoch. Plötzlich riss die Stute den Kopf wieder hoch. Ich knallte schmerzhaft mit der Nase gegen ihren Mähnenkamm. Für einen Moment sah ich tausend Sternchen und direkt neben meinem Knie den Schweif von Caramel. Hirondelle versuchte zu überholen.
Die Kappe rutschte mir über die Augen, ich musste mit einer Hand den Zügel loslassen, um sie zurückzuschieben. Nun ging ich nicht mehr in den leichten Sitz, sondern blieb fest im Sattel sitzen. Schon auf ein erneutes Kopfschlagen vorbereitet, gab ich der Stute eine kräftige Parade an beiden
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