Charlston Girl
Oxford... Aber alles war eben mit Corinne geplant. So war es irgendwie nur der halbe Spaß.«
Plötzlich sehe ich einen Stapel Reiseführer vor mir, alle mit spannenden Vorhaben und Notizen vollgekritzelt. Und dann weggeschlossen. Er tut mir so leid. Ich glaube, ich sollte lieber den Mund halten und ihm das Leben nicht so schwer machen. Ein stärkerer Instinkt jedoch lässt mich weiterreden.
»Sie nehmen also jeden Tag denselben Weg zur Arbeit und wieder zurück«, sage ich. »Sie sehen nicht nach rechts und nicht nach links. Sie gehen zu Whole Foods und in den Park und wieder zurück, und das war‘s.«
»Das reicht mir.«
»Wie lange sind Sie schon hier?«
»Fünf Monate.«
»Fünf Monate?«, wiederhole ich entsetzt. »Nein. Das ist doch kein Leben. Sie können doch nicht mit einem Tunnelblick durch die Welt laufen. Sie müssen die Augen aufmachen und sich umsehen. Sie müssen wieder anfangen zu leben.«
»Wieder anfangen zu leben«, wiederholt er mit gespieltem Staunen. »Wow. Stimmt. Das hat mir bestimmt noch keiner so gesagt.«
Okay, ich bin also offensichtlich nicht die Einzige, die ihm die Ohren lang zieht. Tja, Pech.
»In zwei Monaten bin ich wieder weg«, fügt er knapp hinzu.
»Es ist ziemlich egal, ob ich London kenne oder nicht...«
»Und was jetzt? Sie treten weiter auf der Stelle, existieren nur und warten, bis es Ihnen besser geht? Nun, das können Sie glatt vergessen! Es sei denn, Sie unternehmen was dagegen!« Mein ganzer Frust schwallt aus mir hervor. »Sehen Sie sich, an! Sie schreiben Memos für andere und E- Mails an Ihre Mum und lösen anderer Leute Probleme, weil Sie nicht an Ihre eigenen denken wollen! Tut mir leid, ich habe Sie zufällig im Pret A Manger belauscht«, füge ich verlegen hinzu, als Ed abrupt aufblickt. »Wenn Sie irgendwo leben, egal wie lange, müssen Sie sich darauf einlassen. Sonst leben Sie nicht wirklich. Sie funktionieren nur. Ich wette, Sie haben noch nicht mal richtig ausgepackt, stimmt‘s?«
»Wie es der Zufall will...« Er bleibt kurz stehen. »Meine Haushälterin hat für mich ausgepackt.«
»Sag ich doch.« Ich zucke mit den Schultern, und wir gehen schweigend etwas weiter, beinah im Gleichschritt. »Beziehungen enden«, sage ich schließlich. »So ist es nun mal. Und Sie dürfen sich nicht mit dem aufhalten, was hätte sein können. Sie müssen sich ansehen, was ist.«
Als ich diese Worte ausspreche, habe ich plötzlich ein merkwürdiges Deja-vu. Ich glaube, Dad hat mal so was Ähnliches über Josh gesagt. Es könnte sogar sein, dass er genau dieselben Worte benutzt hat.
Aber das war was anderes. Ich meine, offensichtlich ist es ein völlig anderes Szenario. Josh und ich wollten ja nicht zusammen verreisen, oder? Und auch nicht in eine andere Stadt ziehen. Und wir sind wieder zusammen. Total was anderes.
»Das Leben ist wie ein Fahrstuhl«, füge ich weise hinzu.
Wenn Dad das zu mir sagt, werde ich immer sauer, weil er einfach nichts begreift. Aber irgendwie ist es was anderes, wenn ich Ratschläge erteile.
»Ein Fahrstuhl«, wiederholt Ed. »Ich dachte, es war eine Schachtel Pralinen.«
»Nein, definitiv ein Fahrstuhl. Es geht mal rauf, mal runter.« Ich mime einen Fahrstuhl. »Und da kann man ebenso den Ausblick genießen und jede Gelegenheit nutzen, an der man vorüberfährt. Sonst verpasst man was. Das hat mein Dad zu mir gesagt, als ich mich von diesem... diesem Typen getrennt habe.«
Ed geht ein paar Schritte. »Und haben Sie seinen Rat befolgt?«
»Ah... also...« Ich streiche mein Haar zurück und weiche seinem Blick aus. »Mehr oder weniger.«
Ed bleibt stehen und sieht mich ernst an. »Haben Sie ›wieder angefangen zu leben‹? Ist es Ihnen leichtgefallen? Mir nämlich überhaupt nicht.«
Ich räuspere mich, spiele auf Zeit. Was ich gemacht habe, darum geht es hier doch gar nicht, oder?
»Wissen Sie, es gibt viele Möglichkeiten, wieder anzufangen.« Ich versuche, meinen weisen Ton beizubehalten. »Viele verschiedene Variationen. Jeder muss auf seine eigene Art und Weise wieder anfangen.«
Ich bin mir nicht sicher, ob ich weiter in dieses Gespräch einsteigen möchte. Vielleicht ist jetzt der richtige Moment, ein Taxi zu suchen.
»Taxi!« Ich winke, aber es segelt vorbei, obwohl das Schild leuchtet. Ich hasse es, wenn sie das machen.
»Lassen Sie mich mal.« Ed tritt an den Bordstein, und ich zücke mein Handy. Ich kenne da eine ziemlich gute Minicar-Vermittlung. Vielleicht könnten die vorbeikommen und uns abholen. Ich ziehe
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