Charlston Girl
»Sadie, mach keine Witze.« Ich fahre herum, bekomme aber weder eine Antwort, noch sie zu sehen. »Okay, sehr komisch. Komm zurück!« Na toll. Sie ist eingeschnappt.
»Sadie.« Ich versuche es etwas kleinlauter. »Es tut mir leid.
Ich kann verstehen, dass du genervt bist. Bitte komm zurück, und lass uns darüber reden.«
Es kommt keine Antwort. Der kleine Raum ist still. Ich sehe mich um und bin doch etwas beunruhigt. Sie kann doch nicht weg sein.
Ich meine, sie kann mich doch nicht einfach allein gelassen haben.
Ich zucke zusammen, als es an der Tür klopft und Ed hereinkommt. Ed hat sich in meinen inoffiziellen Assistenten verwandelt. Er nimmt Wünsche an und verteilt Stifte und Papier.
»Fünf Leute gleichzeitig, hm?«, sagt er, als er eintritt.
»Oh.« Eilig setze ich ein Lächeln auf. »Ah... ja! Wieso nicht?«
»Da draußen herrscht ziemliches Gedränge. Alle, die in der Bar waren, sind reingekommen, um zuzusehen. Es gibt nur noch Stehplätze.« Er deutet auf die Tür. »Bereit?«
»Nein!« Instinktiv weiche ich zurück. »Ich meine, vielleicht sollte ich mir noch einen Moment Zeit lassen. Ich muss kurz mal durchatmen.«
»Überrascht mich nicht. Es kostet bestimmt Konzentration.« Ed lehnt sich an den Türrahmen und mustert mich einen Moment. »Ich habe Sie so aufmerksam wie möglich beobachtet, kann es mir aber noch immer nicht erklären. Wie Sie es auch machen... es ist erstaunlich.«
»Oh. Ah... danke.«
»Bis gleich.« Die Tür fällt hinter Ed ins Schloss, und ich fahre herum.
»Sadie«, rufe ich verzweifelt. »Sadie! Sadie! Okay. Ich habe ein Problem.
Die Tür geht auf, und ich quieke vor Schreck. Ed wirft noch einen Blick herein, etwas verwundert.
»Ich hatte ganz vergessen: Möchten Sie was trinken?«
»Nein.« Ich lächle schwach. »Danke.«
»Alles okay?«
»Ja! Natürlich. Ich... konzentriere nur meine Kräfte. Um mich zu fokussieren.«
»Klar.« Er nickt verständnisvoll. »Ich lasse Sie in Ruhe.« Die Tür geht zu.
Dreck. Was soll ich machen? Jeden Moment fangen sie an, nach mir zu rufen. Sie erwarten von mir, dass ich Gedanken lese. Sie erwarten von mir, dass ich zaubere. Vor lauter Angst ist mir ganz schlecht.
Es gibt nur eine Möglichkeit: Ich muss abhauen. Verzweifelt sehe ich mich in dem kleinen Raum um, der offenbar dafür genutzt wird, Tische und Stühle zu lagern. Kein Fenster. In der hinteren Ecke ist ein kleiner Notausgang, doch den versperrt ein drei Meter hoher Turm aus goldenen Stühlen. Ich versuche, die Stühle wegzuziehen, aber sie sind zu schwer. Gut, dann klettere ich eben drüber weg.
Entschlossen setze ich einen Fuß auf einen Stuhl und ziehe mich hoch. Dann den anderen Fuß. Der Goldlack ist etwas rutschig, aber es geht schon. Es ist wie eine Leiter. Eine klapprige, wacklige Leiter.
Das Problem ist nur, dass die Stühle immer mehr ins Wanken geraten, je höher ich komme. Als ich fast oben bin, taumelt der ganze Turm bedrohlich. Er ist so was wie der Schiefe Turm von Goldstuhl, und ich kauere fast auf seiner Spitze, in Panik.
Wenn ich nur noch einen Schritt wage, bin ich über den Berg und könnte auf der anderen Seite zum Notausgang hinunterklettern. Doch jedes Mal, wenn ich es versuche, wackelt der Turm so sehr, dass ich mich vor Angst wieder zurückziehe. Ich versuche, mich seitlich zu verlagern, aber der Stapel wackelt nur noch mehr. Verzweifelt klammere ich mich an einen anderen Stuhl und traue mich nicht hinunterzusehen. Das ganze Ding fühlt sich an, als würde es gleich einstürzen, und es scheint mir doch ein weiter Weg bis ganz nach unten.
Ich hole tief Luft. Ich kann nicht ewig regungslos hier oben sitzen bleiben. Das bringt nichts. Ich muss tapfer sein und drüber wegklettern. Ich ziehe mich hoch und setze meinen Fuß auf einen Stuhl, den drittletzten von oben etwa. Doch als ich mein Gewicht verlagere, neigt sich der Turm so weit, dass ich unwillkürlich schreie.
»Lara!« Die Tür fliegt auf, und Ed erscheint. »Was zum Teufel...«
»Hiiiilfe!« Der ganze Stapel bricht in sich zusammen. Ich wusste , ich hätte mich nicht bewegen sollen...
»Gott im Himmel!« Ed kommt herein, als ich gerade abstürze. Er fängt mich nicht so sehr mit seinen Armen auf, als dass er meinen Sturz mit seinem Kopf abfedert.
»Autsch!«
»Uff!« Ich knalle auf den Boden. Ed nimmt meine Hand und hilft mir auf die Beine, dann reibt er seine Brust und zuckt zusammen. Ich glaube, ich habe ihn versehentlich getreten.
»Verzeihung.«
»Was machen Sie denn?«
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