Charlston Girl
hat sie zu einem Dutt geknotet, ihr Eyeliner ist schief und krumm, und sie sieht etwas besorgt aus. »Sind Sie wegen des Charleston-Unterrichts hier?«
Charleston-Unterricht?
»Es tut mir so leid«, fährt die Frau fort. »Ganz plötzlich ist mir eingefallen, dass wir einen Termin vereinbart hatten.« Sie erstickt ein Gähnen. »Lara, richtig? Sie tragen auf jeden Fall schon mal das richtige Kleid!«
»Entschuldigen Sie.« Ich lächle, zücke mein Handy und wende mich zu Sadie um.
»Was soll das?«, fauche ich. »Wer ist das?«
»Du brauchst Nachhilfe«, sagt Sadie ungerührt. »Das ist die Lehrerin. Sie wohnt in einem kleinen Zimmer oben im Haus. Normalerweise ist der Unterricht tagsüber.«
Ungläubig starre ich Sadie an. »Du hast sie geweckt?«
»Ich muss wohl vergessen haben, den Termin in meinen Kalender einzutragen«, sagt die Frau, als ich mich ihr wieder zuwende. »Sieht mir gar nicht ähnlich... Gott sei Dank habe ich noch daran gedacht! Aus heiterem Himmel ist mir wieder eingefallen, dass Sie hier warten.«
»Ja!« Ich werfe Sadie bitterböse Blicke zu. »Erstaunlich, wozu das menschliche Hirn in der Lage ist.«
»Hier ist Ihr Drink.« Ed erscheint an meiner Seite. »Wen haben wir denn hier?«
»Ich bin Gaynor, Ihre Tanzlehrerin.« Sie streckt ihre Hand aus, und Ed schüttelt sie etwas verdutzt. »Interessieren Sie sich schon länger für Charleston?«
»Charleston?« Ed ist verblüfft.
Ich kriege leichte Panik. Mir scheint, dass Sadie immer ihren Willen bekommt. Sie will, dass wir Charleston tanzen. Also tanzen wir Charleston. Das bin ich ihr schuldig. Und von mir aus kann es ebenso gut gleich hier und jetzt losgehen.
»Also!« Gewinnend lächle ich Ed an. »Bereit?«
Charleston ist schweißtreibender, als man denkt. Und echt kompliziert. Und man muss eine gute Koordination haben. Nach einer Stunde tun mir meine Arme und Beine weh. Es ist gnadenlos. Es ist schlimmer als mein Bauch-Beine-Po-Kurs. Es ist wie ein Marathonlauf.
»Und vor und zurück...«, ruft die Tanzlehrerin. »Und die Füße nach außen drehen...«
Ich kann meine Füße nicht mehr drehen. Die fallen gleich ab. Dauernd kriege ich links und rechts durcheinander und gebe Ed versehentlich eins an die Ohren.
»Charleston... Charleston...« Die Musik trippelt vor sich hin, erfüllt den Club mit seinem peppigen Beat. Die beiden Lederhosentypen am Tresen sehen uns schweigend zu, seit wir mit dem Unterricht begonnen haben. Offenbar sind Tanzstunden hier am Abend ganz üblich. Aber nach Gaynors Aussage wollen alle Salsa lernen. Seit fünfzehn Jahren hat sie keine Charleston-Stunde mehr gegeben. Ich glaube, sie freut sich, dass wir da sind.
»Und Step und Kick... die Arme schwingen... sehr gut!«
Ich schwinge die Arme so fest, dass ich schon gar kein Gefühl mehr darin habe. Die Fransen an meinem Kleid wehen hin und her. Ed kreuzt grimmig seine Hände vor den Knien. Er grinst mich kurz an, aber ich sehe schon, dass er zu konzentriert ist, um zu sprechen. Er ist ganz flink mit seinen Füßen. Ich bin beeindruckt.
Ich sehe zu Sadie hinüber, die selig tanzt. Sie ist unglaublich. So viel besser als die Lehrerin. Ihre Beine huschen hin und her, sie kennt eine Unmenge verschiedener Schritte und kommt überhaupt nicht aus der Puste.
Na gut. Sie hat ja auch gar keine Puste.
»Charleston... Charleston...«
Sadie fängt meinen Blick auf, grinst und wirft ihren Kopf verzückt in den Nacken. Ich schätze, es ist schon eine Weile her, seit sie das letzte Mal auf dem Tanzboden brillieren konnte. Ich hätte es schon früher machen sollen. Ich fühle mich richtig gemein. Von jetzt an tanzen wir jeden Abend Charleston. Wir machen alles, was sie in den Zwanzigern gern gemacht hat.
Das einzige Problem ist, dass ich Seitenstiche habe. Keuchend steuere ich den Rand der Tanzfläche an. Irgendwie muss ich es fertigbringen, dass Ed mit Sadie tanzt. Die beiden allein. Irgendwie. Das wäre für sie die Krönung des Abends. »Alles okay?« Ed ist mir gefolgt.
»Ja. Prima.« Ich wische mir die Stirn mit einer Serviette. »Das ist harte Arbeit!«
»Das war sehr gut!« Gaynor kommt zu uns herüber, und um uns ihre Begeisterung zu zeigen, nimmt sie abwechselnd unsere Hände. »Sie sind sehr vielversprechend, Sie beide! Ich glaube, Sie könnten es weit bringen! Sehen wir uns nächste Woche wieder?«
»Ah... vielleicht.« Ich traue mich nicht recht, Ed anzusehen. »Ich rufe Sie an, ja?«
»Ich lasse die Musik weiterlaufen«, sagt sie enthusiastisch. »Da
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