Charlston Girl
werfe Sadie einen sorgenvollen Blick zu. »Ich weiß, dass es ein echter Schock für dich war...«
»Geht schon.« Ed klingt verunsichert. »Danke der Nachfrage.«
»Es geht mir gut.« Sadie lächelt mich matt an. Dann widmet sie sich wieder dem Gemälde. Sie war bereits nah dran, um sich Stephen anzusehen, der in der Kette verewigt ist, und einen Moment war ihr Gesicht derart vor Liebe und Kummer verzerrt, dass ich mich abwenden und ihr etwas Privatsphäre lassen musste.
»Man hat hier im Museum eine Umfrage gemacht«, sage ich zu Ed. »Sie ist das beliebteste Porträt. Die wollen ein ganzes Sortiment von Produkten mit ihrem Bild herausbringen. Poster und Kaffeebecher und so. Sie wird unsterblich sein!«
»Kaffeebecher.« Sadie schüttelt den Kopf. »Wie schrecklich vulgär.« Aber ich sehe doch den Stolz in ihren Augen blitzen. »Worauf werde ich noch abgebildet sein?«
»Außerdem Küchenhandtücher, Puzzles...«, sage ich, als spräche ich mit Ed. »Die ganze Palette. Wenn sie je Angst hatte, auf dieser Welt keine Spuren hinterlassen zu haben...« Ich lasse meine Worte in der Luft hängen.
»Ganz schön berühmte Verwandtschaft.« Ed zieht die Augenbrauen hoch. »Deine Familie ist bestimmt stolz darauf.«
»Nicht wirklich«, sage ich nach kurzer Pause. »Aber sie wird es sein.«
»Mabel.« Ed schlägt im Katalog nach, den er am Eingang unbedingt erwerben wollte. »Hier steht: ›Das Modell hieß vermutlich Mabel.«‹
»Das dachten sie.« Ich nicke. »Weil auf der Rückseite ›Meine Mabel‹ steht.«
»Mabel ?« Sadie fährt herum und macht ein dermaßen entsetztes Gesicht, dass ich unwillkürlich schnaube.
»Ich habe denen gesagt, dass es ein Scherz war, zwischen ihr und Cecil Malory«, erkläre ich eilig. »›Mabel‹ war ihr Spitzname, aber alle dachten, er sei echt.«
»Sehe ich etwa aus wie eine Mabel?«
Eine Bewegung lenkt mich kurz ab, und ich blicke auf. Zu meiner Überraschung kommt Malcolm Gledhill in den Saal. Als er mich sieht, lächelt er verlegen und wechselt seinen Aktenkoffer von einer Hand in die andere.
»Oh, Miss Lington. Hallo. Nach unserem Gespräch heute dachte ich, ich sehe sie mir noch mal an.«
»Ich auch.« Ich nicke. »Darf ich Ihnen...« Plötzlich merke ich, dass ich ihm gerade Sadie vorstellen will. »...Ed vorstellen?« Hastig schwenke ich meine Hand in die andere Richtung. »Das ist Ed Harrison. Malcolm Gledhill. Er ist verantwortlich für diese Sammlung.«
Malcolm gesellt sich zu uns Dreien auf die Bank, und einen Moment lang sehen wir uns alle nur das Bild an.
»Sie haben das Bild also seit 1982 in der Sammlung«, sagt Ed, der immer noch im Katalog liest. »Warum hat sich die Familie davon getrennt? Ist doch seltsam.«
»Gute Frage«, sagt Sadie, die plötzlich zu sich kommt. »Es gehörte mir! Niemand hätte es verkaufen dürfen!«
»Gute Frage«, wiederhole ich energisch. »Es gehörte Sadie. Niemand hätte es verkaufen dürfen.«
»Und eins möchte ich wissen: Wer hat es verkauft?«
»Wer hat es verkauft?«, plappere ich nach.
»Wer hat es verkauft?«, wiederholt Ed.
Malcolm Gledhill rutscht unbehaglich auf der Bank herum.
»Wie ich bereits sagte, Miss Lington, die Vereinbarung war vertraulich. Erst wenn formell Anspruch erhoben wird, kann das Museum...«
»Okay, okay.« Ich falle ihm ins Wort. »Ich habe es begriffen. Sie dürfen es mir nicht sagen. Aber ich werde es herausfinden. Dieses Bild gehörte meiner Familie. Wir haben ein Recht, es zu erfahren.«
»Nur damit ich es richtig verstehe...« Endlich zeigt Ed echtes Interesse an der Geschichte. »Irgendwer hat das Bild gestohlen?«
»Keine Ahnung.« Ich zucke mit den Schultern. »Es war jahrelang verschwunden, und dann habe ich es hier gefunden. Ich weiß nur, dass es dem Museum Anfang der Achtziger verkauft wurde, aber ich weiß nicht, von wem.«
»Wissen Sie es?« Ed wendet sich Malcolm Gledhill zu.
»Ich... ja.« Widerstrebend nickt er.
»Und können Sie es ihr nicht sagen?«
»Also... ich... nein.«
»Ist es ein Staatsgeheimnis?«, will Ed wissen. »Geht es um Massenvernichtungswaffen? Ist die öffentliche Sicherheit gefährdet?«
»Nicht direkt.« Malcolm wirkt aufgewühlter als je zuvor. »Aber es gibt eine Vertraulichkeitsklausel in der Abmachung...«
»Okay.« Ed schaltet in seinen Berater-Modus und nimmt die Sache in die Hand. »Ich werde gleich morgen früh einen Anwalt darauf ansetzen. Das ist doch absurd.«
»Absolut absurd«, stimme ich mit ein, denn Eds Auftreten macht mir
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