Charlston Girl
aufgebracht hinzu. »Meine Arme sind doch bildschön, oder? Ich hatte immer hübsche Arme.«
»Für meinen Geschmack zu dürr«, schieße ich instinktiv zurück.
»Wenigstens sind sie keine Schwimmflügel.«
Sadie sieht mir in die Augen, und wir lächeln uns müde an. Ihre gespielte Tapferkeit täuscht mich nicht. Sie ist blass und flimmert, und ich merke, dass die Entdeckung ihr an die Nieren geht. Doch ihr Kinn ist hoch erhoben, stolz wie eh und je.
Malcolm Gledhill sieht nach wie vor aus, als wäre ihm nicht ganz wohl. »Wenn wir gewusst hätten, dass sie noch lebte, wenn uns jemand informiert hätte...«
»Das konnten Sie nicht wissen«, sage ich, als mein Zorn etwas verraucht ist. »Wir wussten es ja selbst nicht.«
Weil uns Onkel Bill kein Wort davon gesagt hat. Weil er die ganze Sache mit seinem anonymen Verkauf vertuscht hat. Kein Wunder, dass er die Kette haben wollte. Sie war die einzige Verbindung zwischen Sadie und ihrem Porträt. Das Einzige, was seinen Betrug aufdecken konnte. Das Gemälde muss für ihn wie eine Zeitbombe gewesen sein, die all die Jahre vor sich hin tickte. Und jetzt ist sie schließlich hochgegangen. Boom. Ich weiß noch nicht wie, aber ich werde in Sadies Namen Rache üben. Darauf kann er sich verlassen.
Alle vier haben wir uns schweigend allmählich wieder dem Bild zugewandt. Es ist fast unmöglich, hier zu sitzen, ohne es anzusehen.
»Ich habe Ihnen ja schon erzählt, dass es unser beliebtestes Porträt ist«, sagt Malcolm Gledhill gerade. »Ich habe vorhin noch mal mit der Marketingabteilung gesprochen, und die wollen sie sogar zum Gesicht der Portrait Gallery machen. Sie wird in jeder Werbung auftauchen.«
»Ich möchte auf einem Lippenstift sein!«, sagt Sadie mit plötzlicher Entschlossenheit. »Auf einem hübschen, knalligen Lippenstift.«
»Sie sollte auf einem Lippenstift abgebildet sein«, sage ich zu Malcolm Gledhill. »Und den sollte man nach ihr benennen. Das hätte ihr gefallen.«
»Mal sehen, was sich machen lässt.« Er wirkt etwas durcheinander. »Das ist nicht wirklich mein Metier...«
»Ich werde Ihnen mitteilen, was Sadie noch gewollt hätte.« Ich zwinkere ihr zu. »Von jetzt an fungiere ich als ihre inoffizielle Agentin.«
»Ich frage mich, was sie denkt«, sagt Ed, während er das Bild betrachtet. »Sie hat einen wirklich faszinierenden Gesichtsausdruck.«
»Das habe ich mich auch schon oft gefragt«, stimmt Malcolm Gledhill eifrig mit ein. »Sie strahlt eine solche Gelassenheit und Glückseligkeit aus... Nun hatte sie, wie Sie ja sagten, eine gewisse emotionale Verbindung zu Malory... Ich habe mich oft gefragt, ob er ihr beim Malen vielleicht Gedichte vorgelesen hat...«
»Was für ein Einfaltspinsel dieser Mann doch ist«, faucht Sadie mir ins Ohr. »Es ist doch offensichtlich, was ich denke. Ich sehe Stephen an und denke: ›Ich will mit ihm ins Bett.«‹
»Sie wollte mit ihm ins Bett«, sage ich zu Malcolm Gledhill. Ed wirft mir einen ungläubigen Blick zu, dann lacht er laut auf.
»Ich muss los...« Malcolm Gledhill hat für heute offenbar genug von uns. Er nimmt seinen Aktenkoffer, nickt uns zu, dann macht er sich eilig auf den Weg. Sekunden später höre ich ihn die Marmorstufen hinunterlaufen. Ich sehe Ed an und grinse.
»Entschuldige die kleine Ablenkung.«
»Kein Problem.« Fragend sieht er mich an. »Also... möchtest du heute Abend noch ein paar alte Meister enthüllen? Irgendwelche lang verlorenen Familiendenkmäler? Irgendwelche übersinnlichen Enthüllungen? Oder wollen wir was essen gehen?«
»Essen.« Ich stehe auf und sehe Sadie an. Sie sitzt noch immer da, mit den Füßen auf der Bank, und ihr gelbes Kleid umfließt sie, während sie zu ihrem dreiundzwanzigjährigen Ich aufblickt, als wollte sie sich selbst aufsaugen. »Kommst du?«, sage ich leise.
»Klar«, sagt Ed.
»Noch nicht«, sagt Sadie, ohne den Kopf zu bewegen. »Geht nur! Wir sehen uns später.«
Ich folge Ed zum Ausgang, dann drehe ich mich um und werfe Sadie einen letzten, sorgenvollen Blick zu. Ich will nur sichergehen, dass sie okay ist. Aber sie nimmt mich gar nicht wahr. Sie rührt sich nicht. Als wollte sie die ganze Nacht dort vor dem Bild sitzen bleiben. Als wollte sie die ganze Zeit nachholen, die sie verloren hat.
Als hätte sie endlich gefunden, was sie suchte.
25
Ich habe mich noch nie an jemandem gerächt. Und ich stelle fest, dass es erheblich schwieriger ist, als ich erwartet hatte. Onkel Bill befindet sich im Ausland, und keiner kann ihn
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