Charmant und unwiderstehlich
insgeheim, dann hat er wenigstens keine Zeit mehr, mich mit unsinnigen Ernährungsvorschriften zu terrorisieren.
Melissa konnte nicht genau sagen, warum ihr Plan schiefgegangen war. In den vergangenen zwei Wochen hatte Brad das Wohnzimmer, den Flur und das Esszimmer gestrichen. Er musste nur noch die Fußleisten und die hölzernen Türrahmen neu lackieren. Aber trotzdem hatte er sich die Zeit genommen, auf die Einhaltung ihres Speiseplanes zu achten. Jeden Nachmittag hatte sie sich für ein Schläfchen hinlegen müssen, langsam wurde es Zeit, ihm die Stirn zu bieten.
Sie saß in ihrem Büro und hörte seine Schritte. „Ich mache keinen Mittagsschlaf.
Zwecklos, mich zu überreden.“
Er zuckte die Schultern. Irgendwie wirkte er reichlich niedergeschlagen. „Hast du vielleicht Lust, dich mit mir auf die Veranda zu setzen?“ Er reckte den Kopf und schaute auf ihren Schreibtisch. „Aha, du hast zu tun. Entschuldige bitte“, meinte er und verließ ihr Büro.
Melissa war seine trübe Stimmung nicht entgangen. Sie folgte ihm und fand ihn auf der Schaukel unter ihrem Lieblingsbaum. Zwei Gläser standen auf dem Tisch.
Sein Blick wirkte traurig, und er starrte hilflos in die Gegend.
„Willst du reden?“ fragte sie leise und setzte sich neben ihn.
Es beunruhigte ihn ein wenig, dass sie ihn sofort durchschaut hatte. „Sieht man mir das so deutlich an?“ fragte er.
„ja. Irgendwie schon. Und ich habe das Gefühl, dass es nichts mit dem Haus zu tun hat.“
Er schüttelte den Kopf. „Ich habe versucht, es nicht an mich heranzulassen. Aber es ist mir nicht gelungen. Heute hat Gary Geburtstag.“
„Oh, Brad. Es tut mir unendlich Leid.“
„Und ich Idiot habe meine Mutter angerufen. Sie hat sich noch nicht einmal daran erinnert. Meinte, dass er wohl kaum Geburtstag haben kann, wenn er tot ist. Ich habe einfach aufgelegt.“
Zärtlich legte Melissa ihre Hand auf seine. „Es tut mir Leid“, flüsterte sie. „Ich hätte daran denken müssen, dass er heute Geburtstag hat.“ Brad wirkte immer noch traurig und nachdenklich. „Es gibt keinen besseren Bruder. Ich hatte schreckliche Angst, als unsere Eltern uns nach Aldon ins Internat geschickt haben. Er auch, aber er hat es niemals gezeigt. Auf der Zugfahrt dorthin hat er die ganze Zeit erzählt, wie wundervoll es dort sein würde.“
„Lieber Himmel“, flüsterte Melissa erschrocken.
„Der Internatsdirektor hat uns am Bahnhof abgeholt und sofort angefangen, uns die Hausordnung von Aldon zu erklären. Er meinte, dass ich nicht mit Gary in einem Zimmer wohnen könne, weil ich erst sieben Jahre alt sei. Gary hat sich vor ihm aufgebaut und gesagt, dass da wohl ein Irrtum vorliegen muss. ,Wenn ich nicht mit meinem Bruder in einem Zimmer wohnen darf, hat er gesagt, dann veranstalte ich hier einen Aufstand, den man in Aldon so schnell nicht vergessen wird.’“
Brad lachte auf. „Jahre später habe ich ihn gefragt, was er gemacht hätte, wenn Mr. Harkins nicht nachgegeben hätte. Gary hat gelacht und gesagt, dass er geschrien und geweint hätte wie ein Baby.“
Melissa schaute ihn entsetzt an. „Deine Eltern haben euch einfach in den Zug gesetzt und ins Internat geschickt? Im Alter von sieben und neun Jahren? Ohne sich zu vergewissern, dass ihr wenigstens das Zimmer teilen könnt?“
„Es gibt schlimmere Internate als Aldon“, seufzte Brad auf. Noch nicht einmal jetzt legte er Wert auf ihr Mitleid. „Außerdem habe ich als Anwalt mehrere Kinderhilfsorganisationen in Europa unterstützt. Diese Kinder haben oft mit ansehen müssen, wie ihre Eltern durch Gewalt und Krieg ums Leben gekommen sind. Oder durch Hunger.“
„Wirklich? Du unterstützt Kinderhilfsorganisationen?“ Sie musterte ihn aufmerksam. „Ich weiß zwar, dass du ein international renommierter Anwalt bist, aber ich habe keine Ahnung, was das im Einzelnen heißt.“ Er war froh, dass es ihm gelungen war, das Thema zu wechseln. Später, als die Sonne schon fast unterging, schlug er vor, gemeinsam zu Abend zu essen. Sie unterhielten sich, während sie in der Küche standen, während sie aßen und anschließend wieder aufräumten. Er erzählte ihr von seinem Berufsalltag, aber die meiste Zeit sprachen sie über Gary. Als es schon dunkel geworden war, ging Brad endlich nach Hause und legte sich schlafen. Zufrieden lächelte er in sich hinein. Den Tag habe ich glücklich überstanden, dachte er im Stillen. Und sie hat mir dabei geholfen.
10. KAPITEL
Melissa war
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