Charons Klaue
Rachefeldzug deshalb nicht anschließen kann.«
»Dann sollte der verdammte Nesser-Heerführer sich jetzt lieber fürchten«, erwiderte Dahlia.
»Er wird im Moment in Alarmbereitschaft sein und seine Männer um sich scharen. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt …«
Wieder schnitt ihm Dahlia das Wort ab. »Das ist meine Sache.«
»Sobald die Bedrohung aus Tay nachlässt, wird unser Gegner sich in Sicherheit wiegen, und sein Einfluss in der Stadt wird zurückgehen«, fuhr Drizzt unbeirrt fort. »Ich kenne diese Siedler. Das ist ein zähes Völkchen, und sie werden sich nicht lange mit den Nesserern abfinden. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, um ihm nachzusetzen.«
Dahlias blaue Augen flackerten so wütend auf, dass Drizzt schon glaubte, sie würde nach ihm schlagen. Er wusste, wie wichtig es ihr war, Alegni zu erwischen, doch das Ausmaß ihrer Wut erschien dem Waldläufer unfassbar. Sie war so außer sich, als hätte er ihr ein abscheuliches Verbrechen an ihrer Familie gestanden. Zum Glück hatte sie wenigstens keine Waffe bei sich.
Drizzt ließ eine lange Pause verstreichen, ehe er hinzufügte: »Du wirst Alegni töten.«
»Sprich seinen Namen nicht aus!«, verlangte Dahlia. Sie spuckte auf den Boden, als ob ihr schon beim Hören die Galle hochkäme.
Drizzt hob begütigend die Hände.
Allmählich wich die blitzende Wut in ihren Augen einer tiefen Traurigkeit.
»Was ist?«, flüsterte er und trat etwas näher.
Dahlia drehte sich um, wehrte ihn jedoch nicht ab, als er nun erneut die Arme um sie legte. Gemeinsam blickten sie nach Niewinter hinunter.
»Ich bringe ihn um«, flüsterte sie, und Drizzt hatte den Eindruck, sie spräche eher mit sich selbst als mit ihm. »Nicht später. Jetzt. Ich bringe ihn um.«
»Wie du Sylora Salm umgebracht hast?«
»Wenn ich gewusst hätte, dass er ihr Feind ist, hätte ich ihr geholfen. Wenn ich gewusst hätte, wer die Shadovar anführt, wäre ich weder nach Luskan noch nach Gauntlgrym gezogen, sondern in Niewinter geblieben. Ich hätte die Gegend nie verlassen, bevor er von meiner Hand den Tod gefunden hätte.«
In diesen Worten lag so viel Nachdruck und so viel Gift, dass Drizzt wusste, dass diesmal jeder Widerspruch zwecklos war.
Deshalb hielt er sie einfach nur fest.
Im Stamm eines abgestorbenen Baumes spähte Effron der Missgestaltete durch eine Ritze in dem verfaulten Holz und beobachtete das Paar höchst interessiert. Der verkrüppelte Hexer hörte jedes Wort mit, doch das Gespräch konnte ihn kaum überraschen. Er wusste über Dahlia Bescheid, vermutlich besser als jeder andere auf der Welt, und er wusste, welchen Dämonen sie nachjagte.
Natürlich würde sie versuchen, Erzgo Alegni zu töten. Lieber würde sie bei dem Versuch umkommen, als dass sie beide am Leben blieben.
Das verstand Effron.
Wenn der Hexer die Elfenkriegerin ansah, konnte er seine eigenen Gefühle kaum unterdrücken. Ein Teil von ihm wollte aus dem Baum springen und die zwei hier und jetzt vernichten. Aber der Verstand hielt ihn zurück, denn er kannte den Ruf dieses Drizzt Do’Urden gut genug, um zu wissen, dass er vorsichtig vorgehen musste.
Außerdem war er noch nicht einmal sicher, dass er Dahlias Tod wollte, zumindest nicht sofort. Es gab noch ein paar Dinge, die er wissen wollte, nein, wissen musste, und nur sie konnte ihm die Antworten liefern.
Als Schatten löste sich der Shadovar-Hexer von seinem Beobachtungsposten, kehrte aber nicht unverzüglich zur Berichterstattung zu Erzgo Alegni zurück. Schließlich war Effron kein Sklave und hatte eigene Mittel und Wege.
Vorerst begab er sich in ein bewaldetes Gebiet mit zahlreichen kleineren Hügeln und Felsen vor Niewinter. Noch war der Himmel sehr dunkel, die Wolken hingen tief, und es hatte leichter Schneefall eingesetzt. Aber Effron kannte die Gegend gut und hielt unbeirrbar auf das Lager in der niedrigen Höhle zu.
Dort saßen ein paar Shadovar herum, Nesser-Soldaten, die kurz nach Effron auf dessen geheimen Ruf hin aus dem Schattenreich gekommen waren, bisher aber nicht Alegni die Treue geschworen hatten.
Als der Hexer jetzt zwischen sie schlurfte, standen alle auf. Sie nahmen zwar keine Haltung an, behandelten ihn aber immerhin mit einem gewissen Respekt.
»Ihr habt die Kugeln?«, fragte der Hexer einen Schatten, einen großen Menschenmann mit dem Namen Ratsis.
Der Mann reagierte mit einem verschlagenen Grinsen und zog eine Silberkette mit zwei durchscheinenden Kugeln aus dem offenen Hemd. Beide waren so groß wie eine
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