Chasm City
wahrscheinlich gekränkt gewesen.
»Hast du wirklich etwas anderes erwartet?«
»Wenn Baldachin runterkommen, man weiß nie. He, warum du im Regen stehen?«
»Weil ich nicht mit dir zurück fahre.« Er hatte kaum Zeit gehabt, seine Enttäuschung zu zeigen – immerhin warf er mir einen so tief gekränkten Blick zu, als hätte ich seine ganze Sippe aufs Schwerste verleumdet –, als ich ihm bereits ein großzügiges Ausfallhonorar anbot. »Das ist mehr, als du verdient hättest, wenn ich mit dir gefahren wäre.«
Er sah die zwei Sieben-Ferris-Scheine niedergeschlagen an. »Mister, du hier nicht bleiben. Hier ist nichts, ist ganz schlechte Teil von Mulch.«
»Das glaube ich dir sofort«, sagte ich, bevor ich mich noch mit der Vorstellung vertraut gemacht hatte, dass selbst ein so elendes, verkommenes Viertel wie der Mulch gute und schlechte Gegenden hatte. Dann fuhr ich fort: »Die Baldachin-Leute haben versprochen, mir eine Seilbahn herunterzuschicken. Es ist natürlich möglich, dass sie mich belogen haben, aber das werde ich früher oder später schon erfahren. Wenn sie nicht ehrlich waren, muss ich eben einen Weg durchs Innere eines dieser Gebäude finden.«
»Nicht gut, Mister. Baldachin tun keinem ‘nen Gefallen.«
Ich behielt die Sache mit dem Traumfeuer lieber für mich. »Wahrscheinlich wollten sie nicht ganz ausschließen, dass ich doch der war, der ich zu sein behauptete. Angenommen, ich wäre tatsächlich so mächtig, wie ich sagte? Dann wollten sie mich sicher nicht zum Feind haben.«
Juan tat diese Möglichkeit mit einem Achselzucken als sehr theoretisch ab. »Mister, ich jetzt fahren. Wenn du nicht mitkommen, ich nicht wollen länger bleiben.«
»Schon gut«, sagte ich. »Das kann ich verstehen. Und es tut mir Leid, dass ich dich habe warten lassen.«
Das war das Ende unserer Beziehung. Juan schüttelte den Kopf, fand sich aber damit ab, dass ich mich nicht umstimmen ließ. Dann fuhr er davon. Die Rikscha verschwand ratternd in der Ferne, ich blieb allein im Regen zurück. Diesmal war ich wirklich allein. Der Junge wartete nicht mehr hinter der nächsten Ecke, ich hatte meinen Verbündeten oder das, was dieser Bezeichnung in Chasm City am nächsten kam, verloren oder vielmehr weggeschickt. Es war ein merkwürdiges Gefühl, aber ich wusste, dass ich nur getan hatte, was nötig war.
Ich wartete.
Die Zeit verging, eine halbe Stunde vielleicht, lange genug, dass ich zusehen konnte, wie sich die Stadt verdunkelte. Als Epsilon Eridani hinter dem Horizont versank, wurde ihr Schein, der durch die Kuppel ohnehin schon Sepiabraun gefärbt war, so rot wie geronnenes Blut. Was jetzt noch an Helligkeit zu mir drang, musste durch einen Wald von Gebäuden, und diese Strapaze raubte dem Licht auch die letzte Lust am Leuchten. Ringsum wurden die Türme immer dunkler, bis sie wirklich aussahen wie gewaltige Bäume. Die wirren Ausläufer des Baldachins wirkten im Schein der Lampen, der durch die Fenster drang, wie Äste, die mit Laternen und bunten Lichterketten behangen waren. Es war ein Anblick von schauriger Schönheit.
Endlich löste sich eins der schwebenden Lichter wie eine Sternschnuppe vom Firmament und kam, immer heller werdend, auf mich zu. Als meine Augen sich auf die Dunkelheit eingestellt hatten, sah ich, dass es eine Seilbahngondel war, die genau der Stelle zustrebte, wo ich stand.
Ohne mich um den Regen zu kümmern, stand ich da und beobachtete gebannt, wie das Gefährt langsamer wurde und sich fast bis auf den Boden herab senkte. Von oben war das Singen der sich straffenden und wieder lockernden Kabel zu hören. Der einzige Scheinwerfer überstrich die regennasse Straße, ließ jeden Riss in der Oberfläche hervortreten und richtete sich schließlich auf mich.
Nicht weit vor meinen Füßen klatschte etwas in eine Pfütze. Wasser spritzte auf.
Und dann hörte ich einen Schuss.
Ich verhielt mich so, wie es jeder ehemalige Soldat unter diesen Umständen getan hätte: ich nahm mir nicht die Zeit, die Lage zu peilen, den Typ und das Kaliber der Waffe zu bestimmen, mit der auf mich geschossen wurde, oder nach dem Standort des Schützen zu suchen – ich vergewisserte mich nicht einmal, ob wirklich ich das Ziel war und nicht nur durch Zufall in einen Kampf verwickelt wurde.
Stattdessen rannte ich, so schnell ich konnte, auf den Schatten am Fuß des nächsten Gebäudes zu, widerstand aber dem für einen Flüchtenden durchaus vernünftigen Reflex, meine Reisetasche von mir zu werfen, denn ich
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