Chasm City
ein, dass der Delphin den Strom für die elektrische Stimulation regulieren konnte. Sleek zuckte wie besessen, er warf sich gegen die Wände seines Gefängnisses und hüllte sich in eine sprudelnde Wolke von Wasserblasen. Jetzt konnte der Delphin über die Implantate in seinem Schädel die Anlage ansprechen; er konnte den Gefangenen vor Schmerzen schreien oder vor Lust stöhnen lassen. Wobei Sleek im Allgemeinen die erste Möglichkeit vorzog.
Lange bevor Sky den alten Mann sah, hörte er ihn schon ächzend und keuchend durch den Hangar schlurfen. Valdivia und Rengo, seine beiden medizinischen Betreuer, folgten ihm in diskretem Abstand. Sie gingen leicht gebückt, weil sie mit Handgeräten seine Vitalzeichen überwachten, und machten dabei so besorgte Gesichter, als hätte der Alte nur noch wenige Minuten zu leben. Sky dagegen hegte keinerlei Befürchtungen, der Captain könnte auf der Stelle tot umfallen: die beiden liefen nun schon seit Jahren mit diesen Leichenbittermienen herum, doch das war nur die sorgsam gepflegte Maske ärztlicher Professionalität. Valdivia und Rengo mussten den Anschein erwecken, der Captain läge praktisch in den letzten Zügen, sonst würden sie womöglich gezwungen, ihr nicht allzu gut entwickeltes medizinisches Können anderswo einzusetzen.
Das sollte natürlich nicht heißen, dass Balcazar geradezu in der Blüte seiner Jahre gestanden hätte. Der alte Mann trug unter seiner fest zugeknöpften Uniformjacke ein Gerät zur Überwachung seiner Lebensfunktionen um den Oberkörper, das ihm das pummelige Aussehen eines wohlgenährten Gockels verlieh. Ein Eindruck, der durch sein steif abstehendes graues Haar und das misstrauische Funkeln in den weit auseinander liegenden schwarzen Augen noch verstärkt wurde. Balcazar war bei weitem das älteste Besatzungsmitglied; er war schon lange vor Titus’ Zeit Captain gewesen. Jedermann wusste, dass er einst ein Mann von messerscharfem Verstand gewesen war, der die Crew eiskalt und mit ruhiger Hand durch zahllose kleinere Krisen geführt hatte, doch jedermann wusste auch, dass diese Zeit vorbei war; das Messer war stumpf geworden, der Mann war inzwischen eine Karikatur seiner selbst. Insgeheim wurde gemunkelt, sein Verstand sei so gut wie restlos zerrüttet, während man lauthals bedauerte, dass seine Hinfälligkeit es erforderlich mache, die Zügel in die Hände der jüngeren Generation zu legen; er müsse durch einen jungen Captain oder einen Mann mittleren Alters ersetzt werden, der noch nicht völlig vergreist wäre, wenn die Flottille ihren Bestimmungsort erreichte. Man dürfe nicht mehr zu lange warten, hieß es, sonst hätte der Nachfolger keine Zeit mehr, sich in die Aufgabe einzuarbeiten, bevor die zweifellos schwierige Schlussphase der Reise anbreche.
Es hatte öffentliche Kritik gegeben, Misstrauensanträge, die Forderung nach Zwangspensionierung aus Gesundheitsgründen – wenn auch natürlich keine ausdrückliche Meuterei –, doch der alte Bastard hatte alle Stürme überstanden. Dennoch war seine Position noch nie so schwach gewesen wie jetzt. Seine treuesten Verbündeten starben allmählich weg. Titus Haussmann, den Sky immer noch als seinen Vater betrachtete, hatte zu ihnen gehört. Titus’ Tod war für den Captain ein herber Verlust gewesen, er hatte sich voll auf die taktischen Ratschläge des Mannes verlassen, der so gut über die wahre Stimmung in der Mannschaft Bescheid wusste. Man hatte fast den Eindruck, als könnte der Captain ohne seinen Vertrauten nicht auskommen und hätte nichts dagegen, wenn Sky in Titus’ Rolle schlüpfte. Das lag nicht nur an Skys schneller Beförderung zum Leiter der Sicherheitswache. Als der Captain anfing, ihn gelegentlich sogar als ›Titus‹ anzusprechen, hatte Sky zunächst an ein harmloses Versehen gedacht, doch bei genauerer Betrachtung steckte sehr viel mehr dahinter. Der Captain hatte, wie man so sagte, nicht mehr alle Tassen im Schrank; er warf alles durcheinander und hatte bisweilen Mühe, die jüngste Vergangenheit klar im Blick zu behalten. So konnte man kein Schiff führen.
Deshalb hatte Sky beschlossen, etwas zu unternehmen.
»Wir kommen natürlich mit«, flüsterte der erste Betreuer. Valdivia sah seinem Kollegen Rengo so ähnlich, dass man sie für Brüder halten konnte. Sie hatten beide kurzgeschorenes weißes Haar und die gleichen tiefen Sorgenfalten auf der Stirn.
»Unmöglich«, sagte Sky. »Es steht nur ein zweisitziges Shuttle zur Verfügung.« Er zeigte auf das
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