Chasm City
er nur selten, dass man darauf einging. Hätte Sky sich tatsächlich eingeschaltet – oder es gar gewagt, ein winziges Detail in Balcazars innerem Monolog infrage zu stellen –, der Schreck hätte bei dem alten Mann wahrscheinlich trotz Rengos Beruhigungsmitteln zu multiplem Organversagen geführt.
Und das wäre wahrhaftig die beste Lösung gewesen, dachte Sky.
Nach einigen Minuten sagte er: »Eigentlich könnten Sie mir jetzt sagen, worum es geht, Captain.«
»Natürlich, Titus, natürlich.«
Und dann erzählte ihm der Captain so gelassen, als säßen sie wie zwei alte Freunde bei einem Pisco Sour und redeten über alte Zeiten, sie befänden sich auf dem Weg zu einem Spitzengespräch hochrangiger Mitglieder der Flottillen. Es sollte die erste derartige Sitzung seit mehreren Jahren werden, und der Anlass war das unerwartete Eintreffen eines weiteren Updates aus dem Sol-System. Mit anderen Worten, einer Botschaft von zu Hause mit ausführlichen technischen Instruktionen. Äußere Ereignisse dieser Art förderten auch jetzt, inmitten eines Kalten Krieges, noch die Einigkeit innerhalb der Flottille. Schließlich mochte ein Geschenk wie diese Botschaft auch die Islamabad vernichtet haben, als Sky noch ganz klein war. Bis auf den heutigen Tag wusste niemand genau, ob Khan mit Absicht aus dem Giftbecher getrunken hatte, oder ob die damalige Katastrophe nur ein übler kosmischer Scherz gewesen war. Diesmal wurde eine weitere Steigerung der Triebwerksleistung verheißen, erforderlich seien nur ganz geringfügige Veränderungen an der Topologie des Magneteinschlusses; alles ganz ungefährlich, hieß es in der Botschaft – man habe zu Hause unzählige Tests mit Kopien der Flottillen-Triebwerke durchgeführt; der Fehlerspielraum sei wirklich zu vernachlässigen, wenn gewisse Vorsichtsmaßnahmen beachtet würden…
Doch gleichzeitig war eine zweite Botschaft eingetroffen.
Tut es nicht, hieß es darin. Es ist nur ein Bluff.
Es spielte kaum eine Rolle, dass die zweite Botschaft keinen plausiblen Grund angab, warum irgendjemand an einem solchen Bluff interessiert sein sollte. Die Saat des Zweifels war gelegt und verlieh dem Spitzengespräch einen ganz neuen, unheimlichen Beigeschmack.
Sky und Balcazar waren endlich auf Sichtweite an die Palästina herangekommen, wo das Gespräch stattfinden sollte. Alle drei Schiffe hatten Taxi-Shuttles mit hochrangigen Offizieren entsandt. Auf den Treffpunkt hatte man sich in aller Eile geeinigt, was aber nicht hieß, dass dabei keine Schwierigkeiten aufgetreten wären. Doch die Entscheidung für die Palästina war naheliegend. In jedem Krieg, dachte Sky, ob kalt oder nicht, war ein neutrales Territorium, sei es für Verhandlungen, für den Austausch von Spionen oder – wenn alles andere gescheitert war – zur Demonstration neuer Waffen, für alle Beteiligten von Vorteil. In diesem Fall hatte die Palästina diese Rolle übernommen.
»Glauben Sie wirklich, dass es sich um einen Bluff handelt, Captain?«, fragte Sky. Balcazar hatte gerade einen seiner Hustenanfälle überwunden. »Ich meine, warum sollte man das tun?«
»Warum sollte man was tun?«
»Warum sollte man versuchen, uns durch fehlerhafte technische Daten in eine Katastrophe zu führen? Wer könnte zu Hause davon profitieren? Es ist ein Wunder, dass man sich überhaupt die Mühe macht, uns etwas zu schicken.«
»Exakt«, fauchte Balcazar so verächtlich, als wäre hier jedes Wort zu viel. »Man würde auch nichts profitieren, wenn man uns etwas Brauchbares schickte – und das würde sehr viel mehr Aufwand erfordern. Begreifen Sie das denn nicht, Sie kleiner Narr? Gott schütze uns alle, wenn einer von eurer Generation jemals ans Ruder kommt…« Er verstummte.
Sky wartete, bis er zu husten und dann zu keuchen aufhörte. »Trotzdem muss es doch ein Motiv geben…«
»Reine Bosheit.«
Sky wusste, dass er sich auf sehr dünnem Eis bewegte, aber das konnte ihn nicht abhalten. »Die Bosheit könnte auch in der Nachricht stecken, die uns warnt, die vorgeschlagenen Veränderungen durchzuführen.«
»Und Sie würden viertausend Menschenleben aufs Spiel setzen, um diese Schuljungenspekulation auf die Probe zu stellen?«
»Es ist nicht meine Aufgabe, solche Entscheidungen zu treffen, Captain. Ich sage nur, ich beneide sie nicht um die Verantwortung.«
»Was verstehen Sie schon von Verantwortung, Sie unverschämter kleiner Knirps?«
Noch nicht viel, dachte Sky. Aber das könnte sich eines Tages… vielleicht eines nicht
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