Chasm City
für Elektroschocks und so weiter.
»Wie war es in Santiago?«, fragte ich. Er war geschäftlich dort gewesen, um neue Absatzmärkte für uns auszukundschaften.
»Ich bin froh, dass ich wieder da bin, Tanner. Da unten gibt’s nur aristokratische Arschlöcher. Einerseits reden sie davon, Leute wie uns als Kriegsverbrecher anzuklagen, und gleichzeitig hoffen sie, dass der Krieg nie zu Ende geht, weil er ihrem armseligen Wohlstandsleben etwas Farbe verleiht.«
»Einige von uns wurden bereits vor Gericht gestellt«, bemerkte Cahuella.
Rodriguez zupfte Blätter aus den Besenborsten. »Ja, davon hatte ich auch gehört. Aber der Kriegsverbrecher von heute ist der Volksheld von morgen. Außerdem wissen wir doch alle, dass nicht die Waffen die Menschen töten.«
»Nein, das erledigen im Allgemeinen die kleinen Metallprojektile«, erwiderte Cahuella lächelnd und strich liebevoll über den Stachelstock. Vielleicht dachte er daran, wie er damit das Jungtier in den Transportkäfig getrieben hatte. »Wie geht’s denn meinem Baby?«
»Die Infektion der Haut macht mir ein wenig Sorgen. Häuten sich diese Tiere eigentlich?«
»Ich glaube, das weiß niemand. Wenn ja, dann sind wir die Ersten, die es erfahren.« Cahuella beugte sich über die Mauer – sie war hüfthoch – und schaute in die Grube hinab. Sie wirkte unfertig. Da und dort hatte man einen halbherzigen Versuch unternommen, sie zu begrünen, aber wir hatten bald herausgefunden, dass das Verhalten einer Hamadryade kaum etwas mit ihrer Umgebung zu tun hatte. Sie atmete, witterte Beute und gelegentlich fraß sie auch. Sonst rollte sie sich zusammen und lag so reglos da wie ein riesiges Schiffstau.
Selbst Cahuella hatte nach einer Weile das Interesse verloren – immerhin war es nur ein Jungtier: bevor es auch nur annähernd ausgewachsen war, wäre er längst tot.
Die Hamadryade war nicht zu sehen. Ich beugte mich über den Rand, aber sie war offensichtlich nicht in der Grube selbst. Unter uns befand sich eine kühle, dunkle Nische in der Wand; dort war das Vieh gewöhnlich zu finden, wenn es schlief.
»Sie schläft«, sagte Rodriguez.
»Ja«, sagte ich. »Wenn wir in einem Monat wiederkommen, hat sie sich vielleicht bewegt.«
»Nein«, sagte Cahuella. »Passen Sie auf.«
Neben uns hing ein weißer Metallkasten an der Mauer, der mir bisher noch nicht aufgefallen war. Cahuella klappte den Deckel auf und nahm eine Art Walkie-Talkie heraus: ein Steuergerät mit einer Antenne und einer Reihe von Schaltern.
»Das kann doch nicht Ihr Ernst sein?«
Cahuella stand mit leicht gegrätschten Beinen da. In einer Hand hielt er das Steuergerät, mit der anderen tippte er so zögernd auf die Knöpfe, als kenne er die Sequenz nicht ganz genau. Aber was er tat, zeigte Wirkung: von unten war ein unverwechselbares Geräusch zu hören, ein trockenes Scharren, als würde eine Segeltuchplane über rauen Beton gezogen. Die Schlange entrollte sich.
»Was passiert jetzt?«
»Raten Sie mal.« Cahuella amüsierte sich königlich. Er beugte sich weit über die Mauer und beobachtete, wie das Vieh aus seinem Versteck kam.
Die Hamadryade mochte ein Jungtier sein, aber sie war so groß, dass ich ihr lieber nicht zu nahe hätte kommen wollen. Der Schlangenleib hatte eine Länge von zwölf Metern und war fast überall so dick wie mein Oberkörper. Natürlich bewegte sie sich auch wie eine Schlange: für ein langes Raubtier ohne Gliedmaßen gab es nur diese eine Art der Fortbewegung, besonders, wenn es mehr als eine Tonne wog. Der Körper war glatt und kränklich fahl, denn das Vieh passte seine Hautfarbe den weißen Wänden seines Käfigs an. Hamadryaden hatten keine Feinde, aber sie waren Meister der Tarnung.
Der Kopf war augenlos. Wie sich die Schlangen tarnen konnten, obwohl sie blind waren, wusste niemand so genau. Vermutlich waren irgendwelche Sehorgane über die Haut verteilt, die aber nur Farben wahrnehmen konnten und nicht mit dem höheren Nervensystem verbunden waren. Im Übrigen waren die Hamadryaden nicht wirklich blind, sie hatten zwei Augen, die nicht nur bemerkenswert scharf, sondern auch weit genug voneinander entfernt waren, um räumliches Sehen zu ermöglichen. Aber sie befanden sich, vergleichbar den Wärmesensoren einer Giftschlange, im Innern des Mauls am Gaumen. Das Tier sah erst etwas von der Welt, wenn es das Maul aufriss, um zuzustoßen. Bis dahin hatte ihm bereits eine ganze Batterie von anderen Sinnen – hauptsächlich Infrarotund Geruchssinn – gemeldet, dass
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