Chasm City
es auf eine geeignete Beute gestoßen war. Die Augen im Oberkiefer hatten lediglich die Aufgabe, ihm in den letzten Momenten des Angriffs den Weg zu weisen. Für uns klang das sehr fremdartig, aber ich hatte von einer Froschmutation gehört, bei der sich die Augen ebenfalls im Maul befanden, ohne dass das Wohlbefinden des Frosches dadurch merklich beeinträchtigt worden wäre. Auch irdische Schlangen waren blind kaum weniger geschickt als sehend.
Jetzt hielt die Hamadryade an. Sie hatte die Nische vollends verlassen und lag locker zusammengerollt unter uns.
»Und?«, sagte ich. »Ein guter Trick. Verraten Sie mir, wie Sie das machen?«
»Mentale Kontrolle«, sagte Cahuella. »Doktor Vicuna und ich haben sie betäubt und ein paar neurologische Experimente an ihr durchgeführt.«
»Der Vampir ist wieder da?«
Vicuna war unser Haus-Veterinär. Außerdem war er früher Verhörspezialist gewesen und hatte als solcher angeblich eine ganze Reihe von Kriegsverbrechen auf dem Kerbholz. Unter anderem sollte er medizinische Versuche an Gefangenen durchgeführt haben.
»Der Vampir ist Fachmann für neurale Kontrollverfahren. Vicuna hat die größten Knoten im Zentralnervensystem der Hamadryade vermessen – das, nebenbei bemerkt, nur ziemlich rudimentär ausgebildet ist. Dann hat er einfache Implantate zur Elektrostimulation entwickelt, die wir dem Vieh an strategischen Punkten seines Gehirns – oder des Organs, das man gnädigerweise so nennen könnte – eingesetzt haben.«
Mit diesen Implantaten, so fuhr er fort, hätten sie so lange experimentiert, bis sie der Schlange eine Reihe von einfachen Verhaltensmustern entlocken konnten. Nichts besonders Raffiniertes – die Schlange kannte keine komplexen Verhaltensmuster. Eine Hamadryade konnte so groß werden, wie sie wollte, im Grunde blieb sie ein einziger Jagdreflex mit einigen simplen Subroutinen. Das hatten wir auch bei den Krokodilen beobachtet, bevor wir sie auf Eis legten. Sie waren gefährlich, aber leicht zu lenken, wenn man erst begriffen hatte, wie ihr Bewusstsein funktionierte. Bei Krokodilen löste der gleiche Reiz immer die gleiche Reaktion aus. Bei den Hamadryaden waren die Routinen anders – angepasst an das Leben auf Sky’s Edge –, aber kaum komplizierter.
»Ich habe nur den Knoten stimuliert, der einer Schlange sagt, dass es Zeit ist aufzuwachen und sich etwas zu fressen zu suchen« sagte Cahuella. »In Wirklichkeit hat sie natürlich keinen Hunger – sie hat erst vor einer Woche eine lebende Ziege bekommen –, aber das hat ihr kleines Gehirn schon wieder vergessen.«
»Ich bin beeindruckt.« Das stimmte, aber die Sache war mir auch unheimlich. »Wozu können Sie sie sonst noch bringen?«
»Passen Sie auf. Das ist ein guter Trick.«
Er drückte eine Taste, und die Hamadryade schnellte wie eine Peitschenschnur auf die Wand zu. Im letzten Moment riss sie das Maul auf, dann krachte der stumpfe Kopf mit markerschütternder Wucht gegen die weißen Keramikfliesen.
Dann fiel die Schlange betäubt zurück und rollte sich wieder zusammen.
»Lassen Sie mich raten. Sie haben ihr soeben vorgegaukelt, sie hätte etwas Essbares entdeckt.«
»Ein Kinderspiel«, sagte Rodriguez lächelnd. Er hatte das Schauspiel offenbar schon einmal erlebt.
»Sehen Sie«, sagte Cahuella. »Ich kann sie sogar veranlassen, in ihr Loch zurückzukehren.«
Die Schlange zog sich zusammen und schob sich in die Nische, bis auch die letzte schenkeldicke Schlinge verschwunden war.
»Hat das auch irgendeinen praktischen Zweck?«
»Ja natürlich.« Sein Blick verriet tiefe Enttäuschung über meine Begriffsstutzigkeit. »Das Gehirn einer präadulten Hamadryade ist nicht komplexer als dieses hier. Wenn wir eine große gefangen haben, können wir sie gleich draußen im Dschungel betäuben. Von unserer Arbeit mit dem Jungtier wissen wir, wie Beruhigungsmittel auf die Biochemie der Schlangen wirken. Ist das Vieh erst weggetreten, dann kann ihm Vicuna auf den Rücken klettern, die gleichen Implantate einsetzen und sie mit einem Steuergerät wie diesem verbinden. Danach brauchen wir die Schlange nur auf das Reptilienhaus zu richten und ihr einzureden, vor ihrer Nase gäbe es Futter, und sie wird brav den ganzen Weg nach Hause robben.«
»Ein paar Hundert Kilometer durch den Dschungel?«
»Was sollte sie aufhalten? Wenn sie Zeichen von Unterernährung zeigt, wird sie gefüttert. Sonst lassen wir sie einfach kriechen – nicht wahr, Rodriguez?«
»Er hat Recht, Tanner. Wir können ihr
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