Chasm City
entlang von anderen, deutlich sichtbaren Gassen Todesfallen anbringen oder Minen legen.
Ich zeichnete mir im Geiste eine Karte und war gerade dabei, sie mit einem Netz von Todeslinien zu überziehen, als die Schlange unseren Weg kreuzte. Ich hatte nicht mehr mit voller Konzentration auf die Straße geachtet, deshalb war Cahuellas lautes: »Stopp!« für mich die erste Warnung vor der Gefahr.
Die Turbinen wurden abgeschaltet; unsere Fahrzeuge sanken zu Boden.
Zwei- oder dreihundert Meter vor uns machte die Piste eine Biegung, und genau dort hatte eine Hamadryade den Kopf durch den Blättervorhang gesteckt, der den Dschungel zur Fahrbahn hin abgrenzte. Unter den olivbraunen Falten der photosensitiven Haube, die sie wie den Nackenschild einer Kobra einziehen konnte, war der Kopf von einem widerlich fahlen Grün. Die Schlange kam von rechts und wollte nach links; zum Meer.
»Präadult«, stellte Dieterling fest, als betrachtete er ein Insekt, das an der Windschutzscheibe klebte.
Der Kopf war fast so groß wie eins von unseren Fahrzeugen. Dahinter kamen die ersten Meter des Schlangenkörpers. Er hatte das gleiche Muster wie die Spirale um den Hamadryadenbaum – sehr schlangenähnlich.
»Wie lang schätzt du sie?«, fragte ich.
»Dreißig bis fünfunddreißig Meter. Nicht die größte, die ich je gesehen habe – das war wohl die Sechzig-Meter-Schlange damals 71 –, aber auch kein Jungtier. Wenn sie einen Baum findet, der bis zum Blätterdach reicht und nicht viel höher ist als sie selbst, leitet sie wahrscheinlich die Verschmelzung ein.«
Der Kopf hatte die andere Seite der Piste erreicht. Die Schlange kroch langsam an uns vorbei.
»Fahren Sie näher heran«, befahl Cahuella.
»Warten Sie«, sagte ich. »Wollen Sie das wirklich? Hier sind wir in Sicherheit. Sie ist doch gleich vorbei. Ich weiß, die Tiere haben keinen tief verwurzelten Verteidigungsinstinkt, aber sie könnte trotzdem auf die Idee kommen, uns für einen Leckerbissen zu halten. Wollen Sie das tatsächlich riskieren?«
»Ich will näher heran«, beharrte Cahuella.
Ich fuhr die Turbine nur so weit hoch wie nötig, um dem Wagen Auftrieb zu geben, und kroch im Schneckentempo vorwärts. Hamadryaden hatten zwar angeblich kein Gehör, aber seismische Vibrationen waren vielleicht eine andere Sache. Ich fragte mich, ob sich das Trommeln des Luftkissens auf dem Boden für die Schlange nicht genauso anhörte, als käme der erwähnte Leckerbissen näher.
Die Schlange hatte ihren zwei Meter dicken Körper zu einem Bogen gewölbt, der die Piste überspannte. Sie glitt weiter langsam und gleichmäßig dahin und ließ in keiner Weise erkennen, dass sie unsere Gegenwart überhaupt bemerkt hatte. Vielleicht hatte Dieterling Recht. Vielleicht war sie ausschließlich daran interessiert, sich um einen schönen hohen Baum zu wickeln, um endlich das ach so mühsame Geschäft des Denkens und sich Fortbewegens aufgeben zu können.
Jetzt waren wir noch fünfzig Meter entfernt.
»Stopp!«, rief Cahuella.
Diesmal gehorchte ich ohne Widerrede. Als ich mich nach ihm umsehen wollte, sprang er bereits aus dem Wagen. Jetzt konnten wir auch das stete, leise Grollen hören, mit dem sich die Schlange durch das Laubwerk schob. Es klang nicht wie ein Tier, sondern eher wie das unerbittliche Knirschen eines Panzers.
Cahuella tauchte neben dem Fahrzeug wieder auf. Er war nach hinten gegangen, wo die Waffen deponiert waren, und hatte sich seine Armbrust geholt.
»O nein!«, wollte ich sagen, aber es war schon zu spät.
Er legte bereits einen Betäubungspfeil ein. Die Waffe sah auf den ersten Blick wie eine alberne Marotte aus, aber so unsinnig war sie gar nicht. Um eine erwachsene Schlange so zu betäuben wie damals das Jungtier, war eine riesige Menge an Betäubungsmittel erforderlich. Unsere normalen Jagdgewehre waren dafür einfach nicht gebaut. Mit einer Armbrust konnte man dagegen einen sehr viel größeren Pfeil abschießen – und die vermeintlichen Nachteile wie geringere Reichweite und Zielgenauigkeit fielen bei einem Ungetüm von dreißig Metern Länge, das taub und blind war, kaum ins Gewicht.
»Mund halten, Tanner!«, sagte Cahuella. »Ich bin nicht die ganze Strecke gefahren, um unverrichteter Dinge wieder umzukehren, sobald ich einen Bastard wie den da zu Gesicht bekomme.«
»Vicuna ist tot. Das heißt, wir haben niemanden, der die Steuerungselektroden einpflanzen könnte.«
Ich hätte mir die Worte sparen können. Er stiefelte schon, die Armbrust in einer
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