Chasm City
Hand, die Piste hinunter. Das Hemd unter dem Patronengurt war schweißnass, darunter zeichneten sich seine durchtrainierten Rückenmuskeln ab.
»Tanner«, sagte Gitta. »Sie müssen ihn aufhalten, bevor ihm etwas passiert.«
»Er ist nicht wirklich in Gefahr…«, setzte ich an.
Aber das war eine Lüge, und ich wusste es. Möglich, dass er in dieser Entfernung sicherer war als bei einem Jungtier, aber das Verhalten von präadulten Hamadryaden war nur ungenügend erforscht. Fluchend öffnete ich die Tür auf meiner Seite, lief nach hinten, holte mir ein Lasergewehr aus dem Gepäckraum und kontrollierte die Ladung der Energiezellen. Dann trabte ich hinter ihm her. Als Cahuella meine Schritte auf dem weichen Boden hörte, sah er sich ärgerlich um.
»Mirabel! Verdammt, gehen Sie sofort in den Wagen zurück! Ich will nicht, dass mir jemand diesen Abschuss verdirbt!«
»Ich halte Abstand!«, schrie ich.
Der Kopf der Hamadryade war auf der anderen Straßenseite im Wald verschwunden. Der Körper wölbte sich nach wie vor wie eine elegante Brücke über die Piste. Der Lärm wurde immer größer, je näher ich kam. Unter dem Gewicht der Schlange brachen die Äste, und die trockene Haut scheuerte unentwegt gegen die Rinde der Bäume.
Und dann hörte ich noch ein Geräusch – von der gleichen Art, aber aus einer anderen Richtung. Im ersten Moment weigerte sich mein träges Gehirn, die naheliegende Schlussfolgerung zu ziehen, und stellte sich lieber die Frage, wie die Akustik des Dschungels das Geräusch einer Hamadryade so täuschend imitieren konnte. Ich hatte noch keine Antwort gefunden, als zu meiner Rechten die zweite Schlange durch die Bäume brach. Sie bewegte sich ebenso langsam wie die erste, aber sie war sehr viel näher, und dadurch kam mir die Geschwindigkeit von einem halben Meter pro Sekunde sehr viel schneller vor. Sie war kleiner als das andere Exemplar, aber immer noch monströs genug. Und ich erinnerte mich an eine unangenehme Besonderheit der Hamadryaden-Biologie: je kleiner sie waren, desto schneller waren sie auch…
Etliche Meter vor und etliche Meter über mir hielt die Haube mit dem dreieckigen, augenlosen Schlangenkopf an und schwebte am Himmel wie ein bösartiger Flugdrache mit dickem Schwanz.
In all den Jahren als Soldat hatte mich die Angst nie gelähmt. Ich wusste, dass das manchen Menschen passierte, aber ich konnte es nicht nachvollziehen und fragte mich auch, was das für Leute sein mochten. Erst jetzt erfuhr ich am eigenen Leibe, wie es dazu kam. Der Fluchtreflex war dem Einfluss meines Willens nicht völlig entzogen: ein Teil von mir wusste durchaus, dass Wegrennen ebenso gefährlich sein konnte, wie angewurzelt stehen zu bleiben. Die Schlangen waren blind, bis sie ein Ziel gefunden hatten, aber sie hatten einen sehr empfindlichen Infrarot- und Geruchssinn. Das Tier wusste ohne Zweifel, dass ich unter ihm stand, sonst hätte es nicht angehalten.
Ich war ratlos.
Du musst schießen, dachte ich – aber im Rückblick war das Lasergewehr nicht die beste Wahl gewesen. Es konnte der Bestie zwar ein paar bleistiftdünne Löcher durch den Körper bohren, aber das würde sie nicht allzu sehr behindern. Und auf bestimmte Gehirnbereiche zu zielen, war ebenfalls aussichtslos: schon deshalb, weil das Vieh, auch bevor die Jungen nach der Geburt den winzigen Neuronenknoten auffraßen, so gut wie kein Gehirn hatte. Die Sense, mit der ich auf den Betrüger losgegangen war, hätte mir jetzt bessere Dienste geleistet…
»Tanner. Stillhalten! Sie hat sie im Visier.«
Aus dem Augenwinkel – ich wagte nicht, den Kopf zu drehen – sah ich Cahuella geduckt näher kommen. Er hatte die Armbrust an der Schulter und spähte mit einem Auge am Schaft entlang.
»Damit bringen Sie sie allenfalls in Rage«, zischte ich leise.
»Richtig«, flüsterte Cahuella. »Und wie. Die Dosis war auf die erste abgestimmt. Die hier ist nicht mehr als fünfzehn Meter lang… das sind zwölf Prozent des Körpervolumens, das heißt, die Dosis ist um das Achtfache zu stark…« Er blieb stehen und überlegte. »Oder so ähnlich.« Jetzt war er in Schussweite. Über mir schwankte der Kopf von einer Seite zur anderen und prüfte den Wind. Vielleicht folgte die Hamadryade der größeren Präadulten und drängte weiter. Aber an einer so vielversprechenden Nahrungsquelle konnte sie nicht achtlos vorüberkriechen. Vielleicht hatte sie seit Monaten nicht mehr gefressen. Dieterling hatte gesagt, vor der Verschmelzung nähmen die Tiere
Weitere Kostenlose Bücher