Chasm City
anderen Parteien in ihre ruchlosen Pläne passte.
Doch diesmal klappte die Verbindung.
»Tanner? Alles klar bei euch?«
»Mehr oder weniger.« Über unsere Verluste würde ich später berichten; jetzt musste ich wissen, was man Doktor Vicuna gesagt hatte. »Was hattest du uns da für eine Warnung über Rodriguez zukommen lassen?«
Der Mann am anderen Ende der Leitung hieß Southey; ich kannte ihn seit Jahren. Aber so aus dem Häuschen hatte ich ihn noch nie erlebt. »Tanner, ich hoffe zu Gott… wir haben selbst eine Warnung bekommen, von einem von Cahuellas Verbündeten. Einen Tipp über Rodriguez.«
»Weiter.«
»Rodriguez ist tot! Man hat seinen Leichnam in Nueva Santiago gefunden. Man hatte ihn ermordet und dann irgendwo abgeladen.«
»Bist du sicher, dass er es war?«
»Wir haben seine DNA registriert. Unser Kontaktmann in Santiago hat die Leiche analysiert – völlige Übereinstimmung.«
»Dann muss der Rodriguez, der aus Santiago zurückkam, ein anderer gewesen sein – das wolltest du doch sagen?«
»Ja. Aber wir denken nicht an einen Klon, sondern an einen Killer. Man hat ihm wohl mit plastischer Chirurgie das Aussehen von Rodriguez verpasst; sogar seine Stimme und sein Geruch wurden entsprechend verändert.«
Ich überlegte eine Weile, dann sagte ich: »Auf Sky’s Edge gibt es niemanden, der dazu imstande wäre. Schon gar nicht in den paar Tagen, während Rodriguez nicht im Reptilienhaus war.«
»Nein, das denke ich auch. Aber die Ultras hätten die Möglichkeiten dazu.«
Das wusste ich auch. Schließlich hatte uns Orcagna praktisch mit der Nase auf seine technische Überlegenheit gestoßen. »Aber die kosmetische Anpassung hätte nicht genügt«, sagte ich.
»Was soll das heißen?«
»Rodriguez – der falsche Rodriguez – benahm sich immer noch so wie er selbst. Er wusste Dinge, die eigentlich nur Rodriguez wissen konnte. Ich bin mir da ganz sicher – ich habe in den letzten Tagen oft mit ihm gesprochen.« Wenn ich im Rückblick über diese Gespräche nachdachte, war mir Rodriguez zwar gelegentlich ausgewichen, aber offenbar nicht so auffallend, dass ich misstrauisch geworden wäre. Es gab immer noch genügend Themen, über die er sich bereitwillig mit mir unterhielt.
»Also haben sie auch seine Erinnerungen mit einbezogen.«
»Du meinst, sie haben Rodriguez getrawlt?«
Southey nickte. »Es müssen Fachleute gewesen sein, denn es gab keine Anzeichen dafür, dass ihn der Trawl getötet hätte. Aber es waren schließlich Ultras.«
»Und du glaubst, sie hätten auch ein Verfahren, um die abgefischten Erinnerungen ihrem Killer einzupflanzen?«
»Ich habe gehört, dass es so etwas gibt«, sagte Southey. »Winzige Maschinchen, die im Gehirn des Opfers ausschwärmen und neue Nervenverbindungen anlegen. Eidetische Prägung nennt man das. Die NK hat das Verfahren zu Ausbildungszwecken getestet, aber es hat nie richtig funktioniert. Wenn allerdings die Ultras die Hand im Spiel hatten…«
»Wäre es ein Kinderspiel gewesen. Aber nicht genug damit, dass der Mann Zugriff auf Rodriguez’ Erinnerungen hatte – es ging noch tiefer. Irgendwie wurde er mit der Zeit selbst zu Rodriguez.«
»Vielleicht war er deshalb so überzeugend. Die neuen Erinnerungsstrukturen wären allerdings nicht sehr stabil gewesen – die eigene Persönlichkeit des Killers hätte früher oder später durchgeschlagen. Doch bis dahin hätte Rodriguez längst dein Vertrauen gewonnen.«
Southey hatte Recht: erst in den letzten ein bis zwei Tagen hatte ich mehr als sonst den Eindruck gehabt, Rodriguez weiche mir aus. Hatte der Killer das Stadium erreicht, in dem sein verschüttetes Bewusstsein anfing, durch die Schicht der aufgesetzten Erinnerungen zu sickern?
»Er war recht erfolgreich«, sagte ich. »Wenn uns Vicuna nicht gewarnt hätte…« Ich erzählte ihm, was an dem Baum geschehen war.
»Bringt die Leichen mit zurück«, sagte Southey. »Ich möchte sehen, wie gut sie ihren Mann wirklich getarnt haben – ob es nur Kosmetik war, oder ob sie sich auch an seiner DNA zu schaffen gemacht haben.«
»Du glaubst, sie hätten so viel Aufwand betrieben?«
»Das ist der springende Punkt, Tanner. Wenn sie sich an die richtigen Leute gewandt hätten, wäre der Aufwand gar nicht so groß gewesen.«
»Meines Wissens befindet sich im Augenblick nur eine Ultra-Gruppe im Orbit.«
»Richtig. Ich bin ziemlich sicher, dass Orcagnas Leute beteiligt waren. Du hast sie kennen gelernt, nicht wahr? Würdest du sie als
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