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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Bedeutung, setzt man sie gegen die Jahrhunderte, die nach optimistischen Schätzungen vergehen werden, bis sich das Werk der Vollendung nähert. Ich selbst werde währenddessen wahrscheinlich fast um ein Jahrhundert altern – was dem zwei- bis dreifachen Arbeitsleben eines der früheren großen Komponisten entspricht. Natürlich werde ich Dutzende von Systemen besuchen – bei Bedarf lässt sich meine Reiseroute auch noch erweitern. Ich rechne mit weiteren Kriegen, weiteren Seuchen, weiteren schweren Zeiten. Aber natürlich auch mit Wundern, wie sie sich heute noch niemand träumen lässt. Das alles wird einfließen in mein großes Werk. Und wenn Überdruss und Enttäuschung mich nicht völlig lähmen, werde ich wohl meinen Lebensabend damit verbringen, ihm den letzten Schliff zu geben. Denn um ständig mit den neuesten Langlebigkeitstherapien Schritt zu halten, wird mir einfach die Zeit fehlen. So lange meine Schöpfung meine gesamte Energie beansprucht, muss ich einfach nehmen, was leicht zu bekommen ist, und kann deshalb nur hoffen, mein Opus Magnum auch zu vollenden. Wenn ich dann alle losen Enden verbunden und die primitiven Kritzeleien, die derzeit auf dem Papier stehen, mit der in sich geschlossenen, abgerundeten Komposition, mit der ich mein Leben zu krönen gedenke, irgendwie in Einklang gebracht habe, werde ich ein Schiff nach Grand Teton nehmen – vorausgesetzt, die Welt existiert noch –, um dort die Uraufführung des großen Werkes vorzubereiten. Das große Ereignis wird wohl erst fünfzig Jahre später stattfinden, je nachdem, wie weit die Menschheit bis dahin die Kolonisierung des Weltraums vorangetrieben hat. Jedenfalls sollte die Nachricht auch die fernsten Kolonien erreichen und ihren Bewohnern Zeit geben, sich zur Premiere auf Grand Teton einzufinden. Ich werde im Tiefschlaf liegen, während die Konzerthalle – ein Prachtbau, der Größe des Werkes würdig – errichtet und ein Orchester zusammengestellt, gezüchtet oder auch geklont wird, das den Anforderungen auch gewachsen ist. Am Ende dieser fünfzig Jahre werde ich mich erheben, ins Rampenlicht treten und mein Werk dirigieren. Danach bleibt mir noch eine kurze Spanne, um mich im Glanz meines Ruhmes zu sonnen und mich feiern zu lassen wie kein lebender Komponist vor oder nach mir. Ich werde meine großen Vorgänger zu Fußnoten der Geschichte degradieren; zu flimmernden Sternenpünktchen neben einer explodierenden Sonne. Mein Name wird durch die Jahrhunderte erschallen wie ein niemals verklingender Akkord.«
    Ich ließ mir mit der Antwort lange Zeit.
    Schließlich sagte ich: »Nun, dann haben Sie immerhin ein Ziel«
    »Sie halten mich wahrscheinlich für größenwahnsinnig.«
    »Auf den Gedanken bin ich noch gar nicht gekommen, Quirrenbach.« Während ich sprach, ertastete ich etwas an der Rückseite einer Schublade. Ich hatte gehofft, irgendeine Waffe zu finden – ein klein wenig stärker vielleicht als meine aufziehbare Pistole –, aber Vadim schien ohne Waffen ausgekommen zu sein. Doch jetzt hatte ich eine andere Entdeckung gemacht. »Das ist interessant.«
    »Was haben Sie gefunden?«
    Ich zog eine mattschwarze Metallschatulle von der Größe einer Zigarrenkiste heraus und öffnete sie. Sie enthielt sechs Schlaufen mit kleinen scharlachroten Ampullen. In einer eigenen Aussparung lag eine verschnörkelte Injektionsspritze aus Stahl mit einem Pistolengriff, der mit einem pastellfarbenen Flachrelief geschmückt war – einer kleinen Kobra.
    »Ich weiß es nicht. Haben Sie eine Idee?«
    »Nicht unbedingt, nein…« Er untersuchte das Kästchen mit einer Neugier, die mir nicht gespielt zu sein schien. »Was immer es ist, es sieht irgendwie verboten aus.«
    »Sie nehmen mir das Wort aus dem Mund.«
    Als ich Anstalten machte, die Schatulle wieder an mich zu nehmen, fragte Quirrenbach: »Was finden Sie daran eigentlich so interessant?«
    Ich dachte an die Spritze, die dem Mönch in Amelias Höhle aus der Tasche gerutscht war. Natürlich konnte ich mich täuschen, aber die Substanz in dieser Spritze hatte genauso ausgesehen wie die Flüssigkeit in Vadims Kästchen – wobei ich zugeben musste, dass das Licht in der Höhle sehr schlecht gewesen war. Ich wusste auch noch, was Amelia mir gesagt hatte, als ich mich nach der Spritze erkundigte: Es handle sich um etwas, das der Mönch in Idlewild nicht haben sollte. Also irgendein Narkotikum – und vielleicht war es nicht nur im Hospiz der Eisbettler verboten, sondern im ganzen System.
    »Ich nehme

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