Chemie der Tränen
er würde mich nicht Cat nennen. Ich sagte: »Zu einer Trauerberatung gehe ich jedenfalls nicht, falls Sie darauf hinauswollen.« Der Wodka hatte einen beißenden Geschmack nach Lösungsmitteln.
»Wie kommen Sie bloß auf eine so schreckliche Idee?«
»Egal.«
»Wissen Sie, es geht jetzt darum, die Leute im Haus zu beschwichtigen.«
Mit dem Haus meinte er das Swinburne, das große mechanische Biest am Lowndes Square mitten in seinem georgianischen Würfel, meinte die Kabel, die Kuratoriumsmitglieder, die Vorschriften, die Treppen, die Geheimnisse, Crowleys Loch, in dem sich wer aufgehängt hatte, meinte diesen ganzen schlampig gebauten Bürokratenkomplex aus lauter Rattengängen, ein zweihundert Jahre altes Gebäude im 21 . Jahrhundert. Es war ein wirklich schönes, ziemlich erstaunliches, chaotisches, schreckliches Etwas. Und ich passte da hinein, wie ich sonst nirgendwo hineinpasste.
»Mir bleibt keine andere Wahl«, sagte ich. »Wer würde mich sonst einstellen?«
»Nein«, antwortete er und schenkte sich nach. »Ich habe dies für Sie schwieriger gemacht, als es sein sollte. Das Projekt geht Ihnen sichtlich an die Nerven. Leben, Tod, all das. Tut mir leid, Cat.«
»Bitte nennen Sie mich nicht Cat.«
»Heißen Sie nicht so?«
»Es gab nur einen Menschen, der mich Cat genannt hat.«
Er senkte die Augenlider. Vielleicht zügelte er nur sein Temperament, doch sah er plötzlich und unvermutet wie ein träumender Buddha aus.
Ich saß da und erhielt ein zweites Glas als Belohnung für meinen Gehorsam. »Tut mir leid«, sagte er.
»Einfach unfassbar, dass so etwas jeden Tag irgendwem passiert.«
»Schrecklich.«
»Eher banal, denke ich.«
»Ich lasse das verdammte Ding forträumen. Ich habe mich wie ein Volltrottel aufgeführt.«
»Nein«, sagte ich.
»Nein?«
»Nein.«
»Also gut«, sagte Eric.
»Sagen Sie nicht ›also gut‹. Das klingt, als würden Sie mich managen.«
»Ehrlich gesagt, meine Liebe, genau das ist mein Job.«
»Und genau das meine ich ja. Sie schicken mich zu einem Seelenklempner.«
»Meine Güte, Cat, ich schicke Sie nirgendwohin. Wie kommen Sie bloß auf einen solchen Unsinn?«
»Als mein Vater starb, mussten wir eine Trauerberatung über uns ergehen lassen. Man ließ uns erst aus dem Krankenhaus, nachdem wir mit diesem Kretin vom Sozialamt gesprochen hatten. Nicht mal Papas Kleider durften wir mitnehmen.« Ich weinte jetzt. Lieber wäre mir, ich hätte nicht geweint. »Sie haben ihn gefoltert, Eric. Haben mit ihm gespielt. Wir mussten sie zwingen, ihre idiotischen Maschinen abzuschalten.«
»Cat.«
»Bitte nicht.«
»Catherine«, sagte er. »Es tut mir leid. Mir gegenüber hat er Sie immer Cat genannt.«
Schlagartig war ich so traurig, dass ich fast kein Wort mehr herausbekam. »Hat er?«
Ich war so wild entschlossen, nicht loszuheulen, dass ich ihn bestimmt böse angefunkelt habe.
»Wir stellen nur ein sehr kleines Team zusammen«, sagte er, »Sie sollten die Verfahrensanhörung problemlos über sich ergehen lassen können.«
Ich hatte zu schniefen begonnen, begriff aber, worauf er hinauswollte – eine Möglichkeit für mich, weiter zu arbeiten.
»Die Keramiker sind alle Margarets Freunde. Ich kann sie nicht ausstehen.«
»Hilary nicht.«
»Heather, die kleine Lesbe.«
»Sie hat ein allerliebstes kleines Baby.«
»Die, die den Kaffee verschüttet hat?«
»Kämen Sie mit ihr zurecht, Catherine? Bitte, Sie müssen mir auch ein bisschen entgegenkommen.«
Aber ich wollte ihn bestrafen, ertrug es nicht, dass er noch lebte.
»Wir vermissen ihn alle, meine Liebe, nicht nur Sie; immerhin war er über dreißig Jahre mein Freund.«
»Ja, ich weiß. Er hat Sie sehr gern gehabt. Entschuldigen Sie.«
»Ach was, da gibt es nichts zu entschuldigen.«
Es tut mir leid, sorry, sorry – wie britisch wir waren. Ich dachte, er wollte nach einem Taschentuch langen, sah dann aber, dass er nach einem Zellophantütchen mit weißem Pulver gegriffen hatte.
Warum nicht? Ich war schließlich erwachsen. Ich wusste genau, was es war, trotzdem fühlte ich mich unsicher, als ich sah, wie er den Finger dagegenschnippte.
»Was ist das?«
»Ein Schmerzmittel.« Er schüttete ein Häufchen auf den Tisch; leicht gelblich, ziemlich kristallin.
Ich dachte, ich kenne ihn gar nicht, nicht das kleinste bisschen.
»Das war ziemlich riskant, oder?«, sagte ich.
»Verglichen womit?« Er zog seine Brieftasche heraus, wählte eine Barclaycard aus und begann, das Pulver fein zu hacken. Verglichen
Weitere Kostenlose Bücher