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Chemie der Tränen

Chemie der Tränen

Titel: Chemie der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Carey
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hatte. Versehentlich hat sie ihm das Gesicht zerkratzt.
    Die Wirtin … ließ sie in der Küche des Gasthofes schlafen. Das zweite Schankweib war geschieden und von daheim fortgelaufen, weil ihr Mann …
    Die zweite Barfrau schlug Frau Helga vor, zusammen in Sumpers Mühle zu wohnen, die sei leer und verlassen.
    Die Mühle … Wind blies, irgendwelche Gerätschaften schepperten … ächzten … das zweite Schankweib kehrte zu ihrem Mann zurück … allein, jemand schob Möbel über den Boden … Helgas Baby schlief … mit dem Schürhaken die Treppe runter … ein Mann … tanzte … fiel besoffen hin.
    Sie blieb im Schatten verborgen … würde ihn töten müssen … den Leichnam ins Wasser …
    Gib mir den Schürhaken, sagte der Fremde. Dann nahm er den Haken aus solidem Eisen und bog ihn übers Knie, als sei er eine Stange Sellerie. Er verbog das Eisen, und sein Gesicht war rot, große Zähne schimmerten im Bart. Hab keine Angst, sagte er.
    Mehr konnte ich, Catherine, nicht retten. Ich schlief am Tisch ein und wurde wieder wach, als es an die Tür klopfte. Matthew, dachte ich. So kam er manchmal, nicht oft. Ich hatte panische Angst, stand stockstill und schwitzte, der Mund staubtrocken, die Kehle zugeschnürt. Die Jalousie war hochgezogen, das Fenster zum Garten offen, jedermann konnte hineinsehen.
    Dann trat er – wer auch immer – näher, durchwühlte die Recyclingtonne. Ich hörte Flaschen klirren, und ich, ich schämte mich, so unglaublich dies auch klingen mag. Auf Knien kroch ich ins Schlafzimmer, die Küche immer noch strahlendhell erleuchtet.
    Mein Krankenurlaub war grauenvoll. Am Morgen wusste ich, das war nichts für mich. Ich aß trocknen Toast als Grundlage für die Schmerztabletten, ließ das beschämende Puzzle auf dem Küchentisch liegen und lief zur U-Bahn, wo mich fast wieder die Klaustrophobie gepackt hätte. Ich schaff das nicht, diesen Job, dachte ich. Und dachte dann, was bleibt mir für eine Wahl?
    Bei der Security sorgte mein körperlicher Verfall für gute Laune. Ich dachte, jetzt kann nur noch ein Glas Wodka helfen.
    Im Aufzug traf ich die kleine sportliche Lesbe aus der Keramikabteilung – Heather, glaube ich. Sie war mit dem Rad zur Arbeit gefahren und strahlte und sprühte vor Leben. Ich sah ihr an, dass sie am liebsten auf der Stelle gejoggt wäre.
    »Anstrengende Nacht gehabt?«, fragte sie.
    Was für schöne, vollkommene Haut sie hat, staunte ich. Und sie denkt nicht einmal daran, dass sie sterben wird.
    »Durch den Vulkan geflogen?«
    Hätte ich die Zeitung gelesen, hätte ich sicher gewusst, dass in Island ein Vulkan ausgebrochen war, weshalb man fast überall auf der Welt den Flugverkehr eingestellt hatte, doch brauchte ich nicht den
Guardian
zu lesen, um diesen Witz zu verstehen. Sie wollte sagen, dass ich allem Anschein nach einen Kater hatte, dass ich blau, berauscht, beschwipst, besoffen, bezecht, abgefüllt und hackedicht gewesen war. Ich dachte, ich liebe das enge Verhältnis meines Landes zum Alkohol. Wie wollte ich nur je in den Staaten leben? Bestimmt würde ich da jetzt stattdessen eine Trauerberatung mitmachen.
    Die Schlüsselkarte hatte keine Ahnung von meiner biochemischen Verfassung. Sie öffnete mir zwei Hochsicherheitstüren, als wäre ich völlig nüchtern und normal. Meine Werkstatt war natürlich nicht abgeschlossen, war nicht mal verschließbar.
    Ich dachte, ich werde mich jetzt immer so fühlen.
    Es ging auf neun Uhr zu, als ich Gummihandschuhe anzog und mir den ersten Glasstab näher ansah, um ihn sauber zu machen, was ganz und gar nicht in meinen Aufgabenbereich fiel.
    Ehe man mit der Konservierung oder Restaurierung beginnen kann, bedarf es einer Sitzung, auf der über die angemessene Vorgehensweise beraten wird.
    Aber ich konnte es nicht ertragen, irgendwen reden zu hören.
    Ich legte die Glasstange auf den Tisch und betrachtete sie eine Weile. Diese Stangen, die ebenfalls in der Rechnung an Herrn Sumper aufgeführt worden waren, sollten Wasser andeuten. Man setzte die Ente mit ihrem unechten Anus auf die sich drehenden Stangen, ließ sie Fische fressen und kacken oder sonstwie das Leben imitieren, je nachdem, was der rüpelhafte Uhrmacher für sie vorgesehen hatte. Irgendwo musste es auch noch eine Spiegelplatte geben, die man unter den Stangen anbrachte, um den Eindruck von Wasser zu verstärken.
    Womöglich sollte sich die kleine Heather der Glasstangen annehmen, aber ich wollte wirklich nicht mit der kleinen Heather reden. Ebenso wenig wollte ich

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