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Chemie der Tränen

Chemie der Tränen

Titel: Chemie der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Carey
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war mit diesem grausamen Vergleich ganz zufrieden, wie Austern, die einen Spritzer Zitronensaft abbekamen.
    »Kokolores?«, sagte er und verzog dabei den Mund auf unschöne Weise. »Um Himmels willen, was ist das denn für ein Wort?«
    Ein ziemlich vornehmes Wort, fand ich, und dir deshalb vertraut, auch wenn du es noch so sehr zu leugnen versuchst.
    »Kokolores«, wiederholte er mit zusammengekniffenen Augen, als wollte er auf mich herabsehen, obwohl dies doch unmöglich war, auch wenn er sich noch solche Mühe gab.
    »Wie soll das denn funktionieren, Marcus? Ein Mensch, der spontan in Flammen aufgeht?«
    »Was?« Er war wie ein Junge in der letzten Bank, der zu einem Thema befragt wurde, auf das er sich nicht vorbereitet hatte.
    »
Heuhaufen
, die können sich spontan selbst entzünden.«
    »So ein Schwachsinn, Cat.«
    Ich fragte mich, ob Marcus nicht vielleicht ein bisschen beschränkt war. Bislang war mir der Gedanke nie gekommen, aber er trug immer noch dieses lächerliche Buch von Colin Wilson mit sich herum. Schon als er es fand, hatte es uralt und ziemlich mitgenommen ausgesehen, fast, als hätte ein Hund drauf gepinkelt, er aber nahm es mit ins Bett und legte beim Frühstück Briefbeschwerer auf die Seiten.
    Es hieß
Das Okkulte
und steckte randvoll mit altem Hippie-Blödsinn, was ich ihm anfangs allerdings nicht allzu sehr zum Vorwurf machte. Marcus war überhaupt nicht beschränkt, eigentlich war er sogar ziemlich clever, doch so wie in den Garten an der Kennington Road später eine Fuchsfamilie eindringen sollte, litt London in jenem Jahr unter einer zweiten Colin-Wilson-Invasion, und unsere Clique lebte in einem falschen, nostalgischen Marihuananebel, in dem sich die zuverlässigsten Atheisten veranlasst sahen, einander laut das Buch Ezechiel vorzulesen, in dem angeblich die Manöver einer fliegenden Untertasse beschrieben wurden. Totaler Quatsch, aber ich lebte damals eben in dieser Zeitschleife, bis ich dann plötzlich die Nase davon voll hatte.
    »Du weißt ganz genau, Marcus, dass Menschen nicht einfach in Flammen aufgehen.«
    »Jetzt bleib mal locker.« Da ich diese Worte nicht zum ersten Mal hörte, gab es für ihn keinen Grund zu der Annahme, dass er irgendeine Grenze überschritt.
    Er war ein schöner Junge mit dunkelblauen Augen und langen Wimpern, groß, für den heutigen Geschmack vielleicht ein wenig zu breitschultrig, aber er war mir auch wie jemand mit einem durchaus nicht ungeschulten Auge vorgekommen und wie ein Geschöpf, das in Marmor verewigt werden sollte. Abgesehen davon, dass ich ihn schön fand, hielt ich ihn also für einen äußerst vernünftigen jungen Mann. Er war es auch, der geduldig meinen fast schon hysterischen Widerstand gegen das Studium der Spektrographie überwand.
    »Warum sollten sich Menschen spontan selbst entzünden?« Ich lächelte, sah ihm aber direkt in die Augen und hörte ein gefährlich berauschendes Summen in den Ohren.
    »Weiß nicht.«
    »Und warum glaubst du dann so einen Quark?«
    »Ach, um Himmels willen, Catherine, sei nicht so langweilig.«
    »Aber warum glaubst du, dass ein Mensch einfach so in Flammen aufgehen könnte?«
    »Warum denn nicht?«
    Als ich mich Jahre später daran erinnerte, fand ich mich pedantisch, eitel und selbstgefällig, aber als Marcus Stanwood ›Warum nicht?‹ sagte, konnte ich nicht fassen, dass ich meinen kostbaren Körper einem Mann überlassen hatte, der so etwas sagte.
    »Das ist Mumpitz, einfach lächerlich.«
    »Es gibt dafür keine Erklärung«, rief er. »Jesus Christus ist von den verdammten Toten auferstanden. Menschen gehen in Flammen auf, und wir wissen nicht, warum.«
    Zu meiner völligen Verblüffung machte er dann auf dem Absatz kehrt und ging über den Platz, um gleich darauf im Schatten der Platanen zu verschwinden. Zu spät begriff ich, dass er mit mir Schluss machte. Das hatte ich nicht gewollt; es war nicht meine Absicht gewesen.
    Bald danach gab ich die Kunsthochschule auf und begann Horologie am West Dean zu studieren.
    In bleierner Stille arbeiteten Amanda Snyde und ich bis zum Mittagessen, und sie hatte immer noch nicht herausgefunden, dass es sich bei den fehlenden Ornamenten vermutlich um Schilfgras handelte. Die Sonne schien nicht mehr, und die Jalousien hatten ihren Schimmer verloren.
    Um Punkt eins kam sie und trat hinter mich.
    »Bitte«, sagte sie und legte ihre Hand leicht auf meine Schulter.
    »Natürlich«, gab ich zurück. »Ich gehe auch gleich essen.«
    »Nein, bitte. Darf ich einen Blick

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