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Chemie der Tränen

Chemie der Tränen

Titel: Chemie der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Carey
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keinen Sinn ergeben.«
    »Amanda.«
    »Natürlich enthält der Rumpf mehrere Teile, Miss Gehrig. Das ist für den Schwan von entscheidender Bedeutung.«
    »Und was bedeutet der Schwan?«, fragte ich, und mein Nackenhaar stellte ich auf.
    »Amanda«, sagte Angus und griff nach ihrer Hand, aber sie schüttelte ihn ab.
    »Du hast mich belogen«, sagte sie.
    Der arme Junge hatte keine Ahnung, wie ihm geschah. »Aber gibt es denn Gegenstände in der Doppelverschalung?«, fragte er.
    »Du weißt, dass welche da sind. Ich habe es dir gesagt.«
    »Dann lass es röntgen«, sagte er. »Wer braucht da Mathematik?«
    »Das ist unmöglich.«
    »Nein, das ist überhaupt nicht unmöglich«, erwiderte Angus. »Museen haben Röntgengeräte. Falls der Rumpf noch etwas enthält, kann man es sehen.«
    Amanda drehte sich zu mir um, die Brauen drückten grimmig auf ihre Augen. »Stimmt das?«, wollte sie wissen. »Oder ist das wieder eine Lüge?«
    Man ist nicht gleich verrückt, wenn man von etwas besessen ist, sagte ich mir.
    »Meine Lieben«, sagte ich, obwohl ich so ein Wort sonst eher vermeide, »lassen Sie mich auf die Tatsache verweisen, dass es in England gerade eine Wahl gab, die dazu geführt hat, dass unser Budget drastisch gekürzt wurde. Zugleich haben wir es hier mit einer sehr komplizierten und sehr anspruchsvollen Restauration eines Automaten zu tun. Es hat mich eine dreistündige Sitzung gekostet, die Bewilligung für das Ersetzen eines einzigen kleinen Fisches zu erhalten. Also wird es keine Röntgenaufnahmen geben, jetzt nicht und später auch nicht.«
    »Bitte, Miss Gehrig«, flehte Amanda, doch dann begriff sie – ganz plötzlich –, dass ich mich nicht erweichen lassen würde.
    Und da hat sie mir das Gesicht zerkratzt.

2
    Meine Verletzungen mussten nicht genäht werden, aber ich war stinksauer, und als ich am Lowndes Square Probleme mit dem Ausweis bekam, bin ich völlig ausgerastet.
    Die verfluchte, verwunschene Treppe hinauf, und überall um mich herum Matthews Moleküle, Sauerstoff, der über seine saubere, pinkfarbene Lungenschleimhaut gestrichen war. Ich sah niemanden, den ich kannte, aber vielleicht hatte man mich auch kommen sehen.
    Eine Fußspezialistin hatte mir einmal gesagt, wenn Leute Ihren Schritt hören, glauben sie, dass Sie wütend sind, und mein Gang, das Tintenblau meines wirbelnden Rocks, strahlten zweifelsohne etwas
Empörtes
aus; außerdem klapperte ich wie immer zu laut mit den Hacken. Ob ich einen Termin hatte? Nein, hatte ich nicht, aber da war er, Crofty, mitten in seinem Rattennest – Bücher, Papiere, Karten und Kataloge und kaum was Schönes, worauf der Blick sich ausruhen konnte, falls es nicht verborgen in der Holzkiste steckte, die ihre Strohfüllung über den Teppich streute. Trotzdem war es ein schönes Büro mit breiten georgianischen Fensterrahmen und marmornem Kamin; der Hof so idyllisch und still wie ein Nonnenkloster, dunkel im Kastanienschatten.
    »Was um alles in der Welt ist denn mit Ihnen passiert?«, fragte er, und als er seine Arme nach mir ausstreckte, schwang solche Zärtlichkeit und Nachsicht in seiner Stimme mit, dass ich an Max Beckmann im Smoking denken musste, einsam, besorgt, freundlich.
    »Die Kleine muss verschwinden.«
    »Gütiger Himmel«, sagte er; die Zärtlichkeit allumfassend. Plötzlich meinte ich, ein geheimes Leben zu erahnen. »Ist sie über Sie hergefallen?«
    Ich ließ nicht zu, dass er mein Gesicht berührte.
    »Nehmen Sie wenigstens mein Taschentuch«, sagte er.
    »Sie müssen sie loswerden«, verlangte ich.
    Im Sessel lag Noppenfolie; er räumte sie für mich fort, und ich setzte mich. Dann rollte er mit seinem Stuhl hinterm Tisch hervor, bis wir fast Knie an Knie saßen.
    »Sie bringen Leute zusammen«, sagte ich, »als würden sie eine verdammte Zuchtfarm leiten.«
    Einen Moment lang sah ich an ihm den leicht gefährlichen Crofty-Zug, so als überlegte er, welche Karte er ausspielen sollte. Dann aber bot er mir wieder ein Taschentuch an. Ich fand es ziemlich gut, wie heftig ich blutete.
    »Herrje, was hat das zu bedeuten, Catherine?«
    »Sie mischen sich wirklich in alles ein.«
    Ich dachte, jetzt kocht er Tee.
    »Habe ich das getan?« Er verschränkte die Arme, und ich sah unter der Manschette die Rolex wie ein Signum der korrupten Geschäftswelt hervorlugen. »Tut mir leid, wenn Sie so von mir denken, Catherine.«
    »Amanda ist die Enkelin Ihres Freundes. Lichfield, nicht wahr? Lord Lichfield?«
    »Das war der Fotograf, meine Liebe. Und

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