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Chemie der Tränen

Chemie der Tränen

Titel: Chemie der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Carey
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Gerald ist eigentlich ein Baron.« Er erhob sich. »Warten Sie eine Sekunde.«
    Er verschwand, und ich dachte, jetzt brüht er seinen verdammten Tee auf. Bestimmt Lapsan Souchong, und gleich fragt er mich, ob es mir etwas ausmacht, dass er keine Milch hat. Doch dann kehrte er mit Heftpflaster, Wattebäuschchen und diversen dunklen Fläschchen zurück. Unbeholfen kippte er Alkohol auf einen Tupfer und wollte mir damit das Blut abwischen, aber ich nahm die Sache selbst in die Hand.
    »Könnte weh tun.«
    Natürlich tat es weh. »Jedenfalls«, fuhr ich fort, »ist Amanda Snyde die Enkelin Ihres Freundes.«
    »Nicht gerade Freund.«
    »Dann eben Kuratoriumsmitglied.«
    »Ein Sammler, meine Liebe. Ein ganz anderes Kaliber.«
    Ich erlaubte ihm, mir den blutigen Tupfer abzunehmen, und nahm dafür frische Wattebäuschchen an.
    »Trotzdem haben Sie das Ganze arrangiert.«
    »Es tut mir schrecklich leid, dass es dazu gekommen ist, Catherine. Natürlich ist das unentschuldbar, aber es schadet unserer Sache auch nicht gerade, wenn sich Sammler dem Museum verbunden fühlen. Und dann ist sie ja wirklich etwas Besonderes. Sie haben Ihre Transkripte gesehen. Im Courtauld schwärmt man von ihr. Und von West Dean gab es einen drei Seiten langen Brief. Sie ist wirklich brillant.«
    »Vielleicht ein bisschen labil?«
    »Soweit ich weiß, hat sie gute Arbeit geleistet.«
    »Sehen Sie mein Gesicht? Sehen Sie, was sie mir angetan hat? Ich will sie nicht länger in meiner Werkstatt haben.«
    »Lassen Sie doch wenigstens eine Krankenschwester einen Blick darauf werfen, Catherine. Ich erkläre es Ihnen ja. Es ist heutzutage nämlich nicht mehr so einfach, jemanden zu feuern.«
    »Ach Eric, lieber Eric, was ist mit ihr? Was haben Sie mir nicht erzählt? Ist sie bipolar?«
    »Brauchen wir heutzutage ein klinisches Etikett für ein bisschen Begeisterung?«
    »Mit Begeisterung hat das nichts zu tun.«
    »Dann mit Besessenheit. Wenn ich richtig informiert bin, hat sie jedenfalls hundertprozentig funktioniert. Oder nicht?«
    »Nein, sie ist durchgeknallt.«
    »Na ja, die Ölkatastrophe macht ihr ziemlich zu schaffen.«
    »Wie bitte?«
    »Ich sagte, sie regt sich auf wegen dieser BP -Sache.«
    »Sie regt sich auf, das stimmt.«
    »Lesen Sie denn keine Zeitung, meine Liebe? Sehen Sie nicht fern? Es gab in
Slate
einen langen Artikel. Lesen Sie
Slate
nicht? Über die psychologischen Auswirkungen der Ölkatastrophe. Amandas Gefühle sind normal. Sie ist nur etwas aufgebracht.«
    »Genau wie ich. Gibt ihr dies die Erlaubnis, mich anzufallen?«
    »Ich gebe nur wieder, was ich weiß. Es gibt viele hunderttausend Kids, die tagelang diesen Albtraum beobachten, Öl, das sich in den Golf ergießt. Es ist wie eine Sucht. Und wenn ich mich nicht irre, hat sie wirklich ganz phantastische Zeichnungen gemacht. Ehrlich, man möchte sich umbringen, wenn man die sieht.«
    »Zeichnungen wovon?«, fragte ich, da ich dachte, er hätte sich verplappert.
    »Sicher muss was getan werden. Wie schrecklich. Sie wird bestimmt außer sich sein. Das ist wirklich grobes Fehlverhalten.«
    »Danke. Also kann sie gefeuert werden?«
    »Falls es ihr, wie Sie andeuten, nicht gutgeht, fällt uns, gesetzlich gesehen, die sogenannte Fürsorgepflicht zu, und die zieht ein enorm hässliches und zeitintensives Prozedere nach sich. Wir müssten zwei ärztliche Gutachten vorweisen, die bestätigen, dass sie nicht mehr verantwortlich arbeiten kann, und dann – ich weiß nicht – könnte sie sogar auf die Idee kommen, wir würden sie diskriminieren.«
    »Etwa weil sie zu vornehm ist?«
    »Auch das, wenn Sie wollen, nur ist das keineswegs zum Lachen. Sie könnte behaupten, unser Verhalten ihr gegenüber ziele darauf ab, sie zur Kündigung zu treiben.«
    Die Kleine wurde wütend, weil ich mich geweigert hatte, etwas röntgen zu lassen, was sie nichts anging und auch nicht zu ihrem Fachgebiet gehörte, und jetzt sollte ich
verschwörerisch
an ihrer Entlassung arbeiten, weil sie zu vornehm war? Gütiger Himmel, dachte ich, während Crofty, der doch mein Freund sein sollte, mir die legale Seite erklärte und versuchte, mich von meinem Vorhaben abzubringen, weil er keinen Wohltäter fürs Museum verlieren wollte.
    »Haben Sie dafür die Geduld, Catherine? Wollen Sie das wirklich jemandem antun, dem es nicht gutgeht?«
    Mit leicht schief gelegtem Kopf schaute er mich fragend an. »Ach so«, sagte ich, »Sie denken dabei an
mich

    »Nein, keineswegs. Nicht im Mindesten.«
    »Mir geht es nicht gut,

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