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Cheng

Cheng

Titel: Cheng Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Kompositionsprinzip, das es nur noch zu durchschauen galt). Aus Gründen der Sicherheit war es freilich an der Zeit, auch Chaloupka aufzuklären, der, nachdem er ausgewandert war, seine Tochter nie wiedergesehen hatte. Chaloupka fand die Sache mit dem Finger verrückt, verrückt und unnötig – nicht mehr. Falls er, Geissler, überhaupt recht habe, so müsse man eben die nötigen Schritte unternehmen, um dieses Weib an weiteren derartigen Aktionen zu hindern. Daß das seine Tochter sei, sei ein dummer Zufall, nicht mehr zu ändern, aber gewiß kein Grund für irgendwelche Sentimentalitäten.
    Nun war aber beim besten Willen keine Maria Chaloupka aufzutreiben (die Tochter verschwunden, die Mutter seit einigen Jahren unter der Erde – ihr Autounfall war rein und unschuldig und zusammenhanglos gewesen und somit eine schöne Ausnahme in diesem Gebilde vernetzter Grausamkeiten). Und ob man aus der alten Baumann etwas herausbekommen würde, war höchst ungewiß. Geissler begann, ganz entgegen einer seiner Lebensmaximen, einen Anflug von Nervosität zu entwickeln.
    Gar keine Frage, die ganze Geschichte war nicht nur merkwürdig, sondern auch ein wenig verwirrend, allein die dreifache Maria hatte einigen Leuten Probleme bereitet. Völlig ungeklärt blieb die Frage, warum Ranulph Field, der bloß ein Wanderfreund Thomsons gewesen war, hatte sterben müssen. War ihm seine Ähnlichkeit mit Thomsons Sekretär Jack Swanzy zum Verhängnis geworden? Auf jeden Fall war Field als nächster an die Reihe gekommen, und ausgerechnet an diesem völlig unschuldigen Biologen übte Charlotte Grimus, ja, Charlotte Grimus, die im Namen ihrer Freundin den Rachefeldzug antrat, besonders ausgiebig Vergeltung. Und ließ auch Ranulph Fields unermüdlichen, über den Tod hinaus treuen Privatdetektiv Markus Cheng nicht ungeschoren. Und ebendieser Cheng war es, der durch seine verrückte Einmischung die für einen späteren Zeitpunkt geplante Ermordung Geisslers verhinderte, indem er aus dem Dunkel einer Zimmerecke trat und solcherart Geisslers ungemein banales vorzeitiges Ende verschuldete. Und es ist also nur gerecht, daß Cheng zu spät kam, um auch noch H.P. Thomson und Erwin Chaloupka zu Tode zu erschrecken. Minister Lukaschek war ja bekanntermaßen einige Zeit zuvor einer toxischen Intervention Geisslers zum Opfer gefallen.
     
    »Einer fehlt noch«, sagte Cheng, »Sie haben von einem vierten Mann gesprochen, der sich ebenfalls in der St.-Kilda-Bar befand, als die Sache beschlossen wurde. Wer ist der vierte?«
    »Ein Spieler wie die anderen«, erklärte Maria Baumann. »Aber ich kann Ihnen nicht sagen, wer es ist.«
    Sie sah auf ihre Uhr und meinte, sie komme viel zu spät zu ihrem Konzert. Werde wohl nur noch die Zugabe schaffen. Ohnehin das einzige, was sich lohnt, die Zugaben.
    »Kommen Sie mit, Herr Cheng?«
    Er nickte. Draußen wartete bereits ein Taxi. Cheng kam sich vor wie in einem absurden Bühnenstück, und es würde ihn nicht gewundert haben, wenn er am Schluß als einziger Überlebender auch seinen zweiten Arm verlieren mußte.
     
    Sie kamen tatsächlich gerade rechtzeitig zur dritten Zugabe (niemand hatte sich die Mühe gemacht, Cheng nach einer Karte zu fragen). In der ersten Reihe waren zwei Plätze frei. Der Applaus des wie üblich vom eigenen Applaus entzückten Publikums verlor sich in der Stille angestrengter Hustenunterdrückung. Der Sänger, ein schwergewichtiges Prachtexemplar von einem Frackträger, faltete die Hände zu einer Geste weitläufiger Weltvergessenheit, erinnerte sich dann aber doch an seinen Kollegen am Klavier, der ja auch irgendwann nach Hause wollte, dem er nun zunickte, wie man dem Kellner zunickt, wenn einem der Wein genehm ist, ließ sich von den ersten Tönen des Klaviers zu einem Gesichtsausdruck unendlichen Schmerzes, geschundener Melancholie, brachialer Tiefsinnigkeit und erlesener Opferbereitschaft verführen und begann nun mit einer Stimme, die schon so manches willige Gemüt zu Tränen gezwungen hatte, Schuberts Kriegers Ahnung zu singen. Das war er also, der Mann, der übriggeblieben war: Kammersänger Erich Grobfeld. Cheng sah zur Decke. Er erinnerte sich der Warnung Strakas vor herabfallenden Biedermeierschränken. Der Kristallüster sah aber auch nicht ungefährlich aus. Grobfeld mußte der vierte Mann sein, und es war kaum anzunehmen, daß er eine dritte Zugabe, die ausgerechnet Kriegers Ahnung hieß, überleben würde. Cheng sah sich um, konnte aber niemanden erkennen, der ihn an die Frau

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