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Cheng

Cheng

Titel: Cheng
Autoren: Heinrich Steinfest
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halbes Jahr später nach Deutschland, dann nach Irland. Was nichts half – drei Jahre nach dem Vorfall nahm sich Maria das Leben. Da hatte es auch nichts genützt, daß sich Charlotte den eigenen kleinen Finger der rechten Hand abgetrennt hatte. Vielleicht hatte sie gehofft, der Geliebten einen Teil ihrer Ängste abnehmen zu können, was natürlich Unsinn ist – Angst ist nicht teilbar. Vielleicht war es aber bloß ein Akt der Verzweiflung gewesen. Sie sah ja, daß Maria nicht darüber hinwegkam, sich immer mehr verschloß, auch vor ihr, Charlotte, verschloß.
    Marias Selbstmord blieb unentdeckt. Sie war ins Meer gegangen, die Leiche nicht wieder aufgetaucht. Gleichzeitig verschwand auch Charlotte von der Bildfläche. Beide galten als verschollen.
    Menschen verschwinden, nichts regt Menschen weniger auf.
    Vor drei Jahren ging es dann los. Der Dr. Eberle machte den Anfang, ein Partei- und Jagdfreund Lukascheks, der als Menschenrechtssprecher seiner Partei natürlich hervorragende Kontakte zu den politischen und militärischen Führern sogenannter Regime besaß und der den Markt für Geisslers Rezeptur (so die interne Bezeichnung) sondierte. Eberle war gewissermaßen der Auktionator. Eine heikle, eine gefährliche Angelegenheit, die der Eberle aber zu meistern verstand. – Nun, an einem sonnigen Wintermorgen fand man ihn erschossen in seiner bayrischen Jagdhütte. Seine Partei sprach von Arbeitsüberlastung, die diesen mutigen Kämpfer für die Humanität dazu gebracht hatte, Hand an sich zu legen. Die Lukaschek-Gruppe allerdings dachte prosaischer und befürchtete, daß gewisse Unstimmigkeiten – ohne die lukrative Geschäfte selten auskommen – einen Kunden oder verschmähten Anbieter zu dieser unschönen Lösung verführt hatten.
    Manche Mentalitäten trotzten leider noch immer den internationalen Standards.
    Hätte nun die bayrische Polizei – die ja für vieles weltberühmt ist, aber kaum für ihre Präzision – das kleine Papierröllchen nicht übersehen, das in der undefinierbaren Fleischmasse gesteckt hatte, die von Eberles Schädel übriggeblieben war, wäre Geissler früher klar gewesen, daß die Gefahr nicht aus Libyen oder Belgien stammte.
    Eberle erhielt ein wunderschönes Begräbnis, und man beschloß, die Geschäfte ein wenig ruhen zu lassen, schließlich hatte ja ein jeder seinen Brotberuf. Doch ein halbes Jahr später fiel ein weiteres Mitglied des Unternehmens, ein Tiroler Baustoffhändler, einem tragischen Jagdunfall zum Opfer. Jagdunfälle sind nun einmal kaum zu verhindern; daß es sich aber um einen solchen im klassischen Sinn nicht handelte, erkannte Geissler, der den Tiroler mit einigen Einschußlöchern versehen auffand, als er aus einem dieser Löcher einen Zettel zog, auf dem der Leser aufgefordert wurde, sich an St . Kilda zu erinnern. St. Kilda war der Name von Chaloupkas Bar, und in selbiger Bar hatten Geissler, Thomson, Chaloupka und ein vierter Mann die Idee geboren, Geisslers Leidenschaft für manipulierte Toxine gewinnbringend umzusetzen. Alle vier waren fanatische Kartenspieler und benötigten eine Menge Geld, mehr als sie verdienten (denn so fanatisch sie spielten, so gering waren ihre diesbezüglichen Fähigkeiten, und woher Spielglück auch immer kommt – zu diesen vieren fand es seinen Weg nicht).
    Lukaschek, Eberle und ein paar andere stießen erst später zu der Mannschaft. Lukaschek war kein Kartenspieler, aber er hatte auch so seine Träume. Na gut, Friede seiner Asche.
    Der Wink mit dem Papierröllchen war unmißverständlich. Ein Zitat. Nachdem Geissler den Zettel im Einschußloch seines Tiroler Jagdfreundes gefunden hatte, war er überzeugt, daß Maria Chaloupka hinter diesem Mord und dem an Eberle steckte, daß sie sich auf eine sehr umfassende Weise dafür rächen wollte, daß man ihr einen einzigen, kleinen Finger genommen hatte (Geissler war auch überzeugt, daß die alte Baumann, jetzt, beinahe zehn Jahre später, nur noch eine Nebenrolle spielte; sie hatte die Details an ihre Enkelin weitergegeben, das war es auch schon – Geissler hielt alte Frauen für ungefährlich; anstrengend, aber ungefährlich). Zum ersten Mal hatte er das irritierende Gefühl, daß er es war, auf den das Zielfernrohr gerichtet wurde. Ihm selbst war erst sehr spät klargeworden, daß Baumanns Enkelin Chaloupkas Tochter war – nicht, daß ihm das Probleme bereitete, auch diesen Umstand hatte er zunächst als höchst reizvoll empfunden (als erkenne er mit einem Mal ein
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