Cherryblossom - Die Zeitwandler (German Edition)
entgegen, als würden sie fragen: » Wer bist du, Hanna Cherryblossom?«
Ich war Hanna, war achtzehn Jahre alt und wohnte mit meinem kauzigen Professor-Onkel in Hamburg-Altona in einem schönen Altbau in einer Seitenstraße. Wir bekamen fast nie Besuch, da Onkel Henry es fast immer schaffte, sich mit jedem, den er länger als zehn Tage kannte, zu verkrachen. So hält er sich Verpflichtungen vom Hals, wie er sagte. Was mich und meine Beliebtheit anging würde ich auf einer Skala von eins bis zehn auf eine Sechs tippen. Ich hatte meine beiden Freundinnen Maike und Evelyn und versuchte, für den Rest unsichtbar zu sein. Unsichtbarkeit brachte viele Vorteile mit sich, wenn man bedenkt, dass sie einem erlaubte, ruhig mal seine Hausaufgaben zu vergessen oder auch mit Pickeln in die Schule kommen zu können, weil es kaum jemandem auffiel. Oder wenn ein naiver Versuch, mittels Haarfarbe seinen Typ zu verändern, in die Hose gegangen war. Leider klappte es nicht immer so gut, wie ich es gerne gehabt hätte. Kaum gab es irgendwo Zoff oder Unstimmigkeiten, spürte ich auch schon Blicke auf mir lasten. Trotz meines eigenen inneren Aufruhrs in solchen Situationen spielte ich beinahe immer den Schlichter, mit mir unerklärlichem Erfolg – was es mir schwerer machte, einfach nicht hinzuschauen, wenn es wieder einmal im Klassenraum oder sonstwo kochte.
Für die Jungs war ich seit geraumer Zeit auch nicht mehr ganz so unsichtbar. Obwohl es beim Essengehen mit Henry immer noch manchmal vorkam, dass der Kellner mir aus Versehen die Kinderkarte gab, schien sich mein Körper doch langsam daran zu erinnern, dass ich eine Frau werden sollte. Wenn ich mich allerdings nicht schminkte, ging ich dann doch noch als Vierzehnjährige durch, was ziemlich frustrieren kann. Henry zog es sowieso vor, mein eigentliches Alter zu ignorieren und tat so, als sei ich nicht gerade volljährig geworden.
»Hanna!« Onkel Henrys Stimme klang jetzt noch weniger aufgeräumt als vorhin.
»Ich muss los jetzt! Kommst du bitte runter?«
Genervt verdrehte ich die Augen und zwängte mich in meine Klamotten. »Zwei Minuten, Henry!« Ich beeilte mich, meine restlichen Schulsachen zusammenzusuchen und polterte eilig die knarrende alte Holztreppe hinunter. Ich wusste, dass Henry Warterei nicht ausstehen konnte.
Eilig folgte ich ihm aus dem Haus. Er schien mich gar nicht richtig wahrzunehmen, sondern schloss seinen alten Toyota auf und setzte sich viel zu eilig für einen frühen Morgen ans Steuer. Ich öffnete die Beifahrertür und stieg ein. Die war noch nicht einmal geschlossen, geschweige denn mein Fuß richtig im Fahrzeug, da fuhr er auch schon an. Überrascht schnaufte ich auf und schlug die Tür etwas zu kräftig zu. Als Henrys Toyota auf den Schulparkplatz fuhr, war mir doch ein wenig mulmig. Ich war es gewohnt, häufig von Unsicherheiten eingeholt zu werden, die dann an meinen Knochen nagten wie eine Viruserkrankung. Henry bemerkte meine Unruhe und musterte mich besorgt.
»Hast du Angst? Hanna, du brauchst dir keine Sorgen machen, das weißt du. Dein Abi wird ein Klacks für dich.«
»Ja, mag sein. Streber-Hanna macht das schon. Aber das mit der Angst hab ich noch nicht ganz abgelegt. Aber ich arbeite dran.«
»Hanna, du weißt: Ängste sind wertvolle Wegbegleiter. Man muss nur lernen, die Angst in den Griff zu bekommen …«
»Ich weiß, bevor die einen in den Griff bekommt …«, fiel ich ihm ins Wort und zog eine Grimasse.
Henry machte eine lange Pause und besah seine Hände. »Viele Menschen haben Angst, Hanna. Es gibt auch verdammt viel, was einen da draußen ängstigen kann.«
Er sah angestrengt aus dem Fenster, kniff sich in die Nasenwurzel, bevor er sich wieder fasste und weitersprechen konnte. »Und tröste dich: Leute mit Angst sind meistens sehr intelligente und analytische Menschen. Das ist ein Vorteil, kein Nachteil.« Er rückte seine Brille zurecht und räusperte sich.
»Danke, Henry!«
Unvermittelt zog er mich zu sich heran und küsste mich auf die Stirn. »Hanna, es kann heute spät werden. Kommst du klar?«
Ich kicherte verlegen und griff nach meinen Schulsachen. »’Türlich. Gibt es so viel zu tun in der Uni? Ein neues Projekt?«, fragte ich neugierig.
Henry war in letzter Zeit wirklich sehr angespannt und abwesend mir gegenüber. Ich fragte mich kurz, ob ich mich sorgen musste, er war mit seinen achtundvierzig Jahren schließlich auch nicht mehr der Jüngste. Kopfschüttelnd verwarf ich den Gedanken genauso schnell
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