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Cherryblossom - Die Zeitwandler (German Edition)

Cherryblossom - Die Zeitwandler (German Edition)

Titel: Cherryblossom - Die Zeitwandler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mina Kamp
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wegen der unschönen Art, wie er mich abserviert hatte. Diese Art Tratsch machte bei uns schnell die Runde.
     
    »Hanna!« Ich zuckte zusammen, verschluckte mich an meiner eigenen Spucke und prustete keuchend los. Onkel Henry kam hinter mir hergesprintet.
    »Ich muss noch mal los, in die Uni. Ich wollte wissen, ob du deinen Schlüssel hast und ob du ein paar Stunden ohne mich zurechtkommst.« Ich versuchte, die restliche Spucke, die mir im Hals kratzte, loszuwerden und sah ihn mit Tränen in den Augen an, was ihn zu beunruhigen schien. Fragend runzelte er die Stirn und ein unsicherer Ausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit. Er strich sich sein langsam ergrauendes Haar, das der Wind ihm ins Gesicht blies, zurück und rückte seine Brille zurecht.
    »Ist es wegen des Jungen?« Er sah mich betreten an. Wahrscheinlich dachte er, ich würde ihm die Schuld daran geben, dass Mark mit mir Schluss gemacht hatte, weil ich die ganzen Sommerferien nicht hier sein konnte.
    »Nein, alles in Ordnung«,  krächzte ich angestrengt und verschränkte die Arme vor der Brust.
    Zwischen Husten und Luftholen versuchte ich, möglichst sarkastisch zu klingen: »Meinst du nicht, Daddy hätte was dagegen, wenn du mich so viel alleine lässt?«
    Mit einem schiefen Lächeln drehte er sich um in Richtung Auto. »Nicht so spät ins Bett, Hanna Cherryblossom! Morgen ist Schule, und das Abi naht.«
    »Oh, ja, das Abi naht. Wolltest du, dass ich gut schlafe?«, grinste ich ihm frech hinterher. Er wusste genau, dass ich keine Probleme mit dem Stoff hatte. Allerdings spielten meine Nerven manchmal nicht mit, was ein größeres Problem darstellen konnte.
     
    Ich fuhr im Bett hoch. Das Rauschen in meinen Ohren übertönte meinen wilden Herzschlag. Mühsam versuchte ich, Fetzen meines Traumes festzuhalten, aber sie begannen bereits zu zerfließen. Nur langsam wurde mein Puls ruhiger, meine Hand umklammerte meinen Anhänger und rieb ihn mechanisch. Ich hatte ihn als Glücksbringer von Henry zu meinem sechsten Geburtstag geschenkt bekommen und trug ihn so gut wie immer. Meine Finger glitten über den kleinen Kompass, berührten die feine eingravierte Kirschblüte auf der Rückseite und zogen ihre Linien nach.
    Ich konnte mich an Angst erinnern und an Verrat. Besser gesagt: an das Gefühl, verraten worden zu sein in einer elementaren Sache. Keine Banalität. Ich war schrecklich müde und von einer unendlichen Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit erfüllt, die bleiern an mir zog und sich in mir ausbreitete. Erste Erinnerungsfetzen an den Traum kehrten zurück: Ich wollte sterben, ins Wasser gehen und mich ertränken. Das Meer vor mir war grau, friedlich und tief. Jetzt sollte es mich mit sich in die Tiefe ziehen. Als ich mich in die Fluten warf, wurde das Wasser flacher. Das Meer warf mich aufbrausend wieder und wieder mit einer Vehemenz an die Oberfläche, dass mir ganz schwindelig wurde. Es wollte mich nicht. Mir wurde Erlösung verwehrt. Und doch glaubte ich, dass es die einzige Möglichkeit wäre, diesem grausamen inneren Schmerz zu entkommen , der mich dann und wann plagte wie eine leise Erinnerung .
    Mein Blick glitt zur Seite, da sah ich ihn. Ich sah ihn seit Jahren regelmäßig in meinen Träumen, allezeit als stillen Beobachter, kalt und schön. Erhaben und mit verschränkten Armen vor der Brust stand er da. Sein intensiver Blick war dunkel und eindringlich auf mich gerichtet. Er war sicher nicht viel älter als ich, groß, mit athletischem und schlankem Körperbau. Seine hohen Wangenknochen verliehen ihm eine aristokratische Aura und sein Haar, das dicht und zerzaust von seinem Kopf abstand, hatte die Farbe von Bronze. Er war höchstens Mitte zwanzig, strahlte aber eine unglaubliche Überlegenheit und Präsenz aus. Ich wollte ihn anschreien, denn ich war so wütend über seine jahrelange Passivität, doch meinen Lungen entwich die Luft und ich hatte das Gefühl zu ersticken. Was mir eben so verlockend erschien, wandelte sich zu Schmerz, Schwere und unbeschreiblicher Panik. Mein Körper wand sich im Kampf um Luft und Leben. Der Tod klopfte an meine Tür und verlangte Einlass. Der Junge sah weiter auf mich herunter und runzelte die Stirn.
    Das war alles, woran ich mich erinnern konnte. Der Rest waren nur vage Gefühlsfetzen. Vielleicht sollte ich ein Traumtagebuch schreiben, um aus den ganzen Details, die ich noch greifen konnte, schlau zu werden.
     
    Mit einem Seufzer ließ ich mich zurück in die Federn fallen und zog mir meine

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