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Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)

Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)

Titel: Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Bergmann
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Hauch Leichtigkeit fehle. Etwas Improvisation bei aller Präzision. Dr. Fontana stellte darauf regelmäßig die rhetorische Frage, ob sie sich diesen Hauch von Leichtigkeit auch wünschten, wenn er sie operiere. Als praktischer Arzt operierte er nie, deshalb hielten sich ihre Sorgen in Grenzen.
    Chiara deckte im Esszimmer, nicht in der Küche. Ihre Mutter hatte, bevor die Krankheit sie daran hinderte, großen Wert auf gute Formen gelegt. Obwohl beide, Vater und Tochter, sich in der Küche wohler gefühlt hätten, vermieden sie jedes Wort darüber. Es entsprach einer Art stillen Gedenkens, an das man besser nicht rührte.
    In ihrer Beziehung gab es viele solcher Punkte, was nicht dazu beitrug, sie einfacher zu machen. Clara Fontana war kurz nach Chiaras erstem Geburtstag schwer erkrankt und dreizehn schlimme Jahre später gestorben. Deshalb hatte das Mädchen einen guten Teil seiner Kindheit bei den Parellos verbracht, den besten Freunden ihrer Eltern. Ihre Mutter war nicht nur sehr schwer krank gewesen, sie hatte seit jeher einen schwierigen Charakter und ein aufbrausendes Temperament besessen. Für Dr. Fontana blieb sie dennoch die Liebe seines Lebens. Der lange Kampf gegen die Krankheit, gegen Launen und Vorwürfe, schließlich ihr Tod, gingen an ihm nicht spurlos vorüber. Chiara bot ihm Halt, mit ihren vierzehn Jahren führte sie ihn sicher durch die härtesten Monate und verhinderte instinktiv, dass er abglitt. Er wusste es. Er wusste, dass seine kleine Tochter die notwendige Stärke aufgebracht hatte, nicht er selbst.
    Die Leber schmeckte göttlich. Minutenlang wechselten sie kaum ein Wort, nickten nur, stießen an, tranken. Das Wenige, das sie sagten, bezog sich auf das Essen, das Kochen im Allgemeinen und den Wein. Gemeinsam räumten sie auf, schlichteten Teller und Töpfe in den Geschirrspüler, wuschen ab, was nicht hineinpasste.
    „Was hast du heute gemacht?“ fragte ihr Vater, während er zärtlich seine Lieblingspfanne polierte.
    „Einen Ausflug. Mit Antonio. Zur Vigna.“
    Dr. Fontana seufzte. Er seufzte immer, wenn Antonios Name fiel. Teils Antonios wegen, teils wegen seines verstorbenen Vaters, seines besten Freundes.
    „Was studiert er zurzeit? Geografie, Technik, Theologie?“
    Sie dachte an ihren aufregenden Tag und wusste, wie ihre Antwort hätte lauten müssen: ‚Er studiert das Katapult des Teufels.’ Es lag ihr auf der Zunge. Sie befand sich in einem seltsamen Zwiespalt. Sie hätte ihrem Vater furchtbar gern von ihren heutigen Erlebnissen erzählt und ihm die Manuskripte gezeigt, die sie in einem Stoffbeutel mitgenommen hatte, der nur wenige Schritte entfernt in der Garderobe hing. Doch sie tat es nicht. Sie bekam ein schlechtes Gewissen, weil ihr Schweigen so verstanden werden könnte, als ob sie ihm nicht traute. Traute sie ihm nicht? Oder wollte sie ihn schützen? Wovor?
    Sie sagte: „Keine Ahnung, Papa. Ich frage ihn schon lange nicht mehr danach.“
    Um das Thema zu wechseln, erzählte sie ihm ihren Wachtraum von der Kaiserin und der Fliege. Er fand ihn sehr komisch.
    „Sieht nicht ein jeder irgendwann, was irgendwer einmal gesehen hat?“ wiederholte er lachend. „Gott behüte!“
    „Ich habe es wirklich gesehen“, sagte Chiara, ebenfalls lachend. Dann wurde sie ernst. „Es macht mir Sorgen. Es ist so unglaublich wirklich. Es war auch nicht das erste Mal. Meinst du, ich drehe durch?“
    Er griff nach ihrer Hand, was er sehr selten tat.
    „Du bist gewiss nicht normal, mein Liebling. Das meine ich aber im positiven Sinn. Verrückt bist du bestimmt nicht. Ich kenne keinen zweiten Menschen, von dem ich das so sicher behaupten könnte.“
    Er schüttelte den Kopf und sah plötzlich viel älter aus mit seinem grauen Haar und den scharfen Augen, die das hagere Gesicht beherrschten.
    „Bevor du überschnappst, käme die ganze Welt zur Vernunft. Und das ist, nach allem was wir wissen, vollkommen ausgeschlossen.“
    „Klingt ja beruhigend. Danke. Aber Mama... Ist es möglich, dass ich von ihr ...“
    Sie führte den Satz nicht zu Ende, weil sie sich auch so schon auf gefährliches Terrain begab. Er lächelte nur.
    „Clara war nicht verrückt. Sie war... ungewöhnlich. Aber hinter aller Extravaganz steckte eine Frau, die immer mit beiden Beinen fest auf der Erde stand. Die auch sehr genau wusste, was sie wollte und wie sie es bekam. Nur haben das nicht viele erkannt.“
    Chiara staunte, so hatte er noch nie über Mama gesprochen. Er bemerkte es und hob die Schultern.
    „Ich habe sie

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