Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)
dem im Video interessiert wäre. Und bei allem, was mir heilig ist, Sir, damit hat er auch Recht gehabt. Nur war mir gleich klar, dass diese Sache eine größere Dimension hat, deshalb ...“
Deshalb hatte er seinen Freund – wenn man es Freundschaft nennen wollte – an den Geheimdienst verraten.
„Haben Sie das Gerät gesehen?“
Mit tiefem Bedauern schüttelte der Spitzel den Kopf, so dass sein Fransenstore kleine Wellen schlug.
„Ich möchte mit Parello sprechen“, entschied Donahue.
Harry sah auf seine Uhr.
„Er wohnt nicht weit von hier, Sir. Vielleicht 10 Minuten zu Fuß. Wenn wir Glück haben, erwischen wir ihn noch zu Hause.“
„Und wenn wir kein Glück haben?“
„Dann müssen wir einige Lokale abklappern, Sir. Da lernen Sie glatt noch das Nachtleben von Florenz kennen.“
Er kicherte schrill, bis sein Blick auf den des Agenten traf.
„Gehen wir“, sagte Donahue knapp. „Wenn wir ein Taxi kriegen, umso besser ...“
39___
Drei Männer saßen in dem schmutziggrauen Lieferwagen, zwei in der Fahrerkabine, einer im fensterlosen Laderaum, bereit, die Schiebetür blitzschnell zu öffnen und wieder zu schließen. Einer von ihnen, der Fahrer, betrieb ein kleines Souvenirgeschäft in der Nähe der Ponte Vecchio, der Mann im Laderaum arbeitete als Hilfsgärtner für die Stadtverwaltung und der Beifahrer studierte Geschichte an der Universität. Er war es, der ihrer aller Leben mit seiner Nachricht verändert hatte und damit für ihren frühen Tod verantwortlich sein würde. Doch das wussten sie noch nicht.
Warum werden Menschen zu Radikalen, die auf nichts und niemanden Rücksicht nehmen? War es eine Mischung aus Minderwertigkeitsgefühl und Geltungsdrang, Ideologie- oder Religionshörigkeit, Unterwerfungsgeste, Größenwahn, Sinnsuche, Unzufriedenheit, Charakterschwäche ...? Niemand weiß es. Immer finden sie aber Anleitung durch skrupellose Anführer. Typen, die es verstehen, dumpfe und gar nicht seltene, aber meist diffuse Motive in einen harten Strahl zu zwingen und zu einer hoch explosiven Waffe zu formen.
Jeder der drei Männer, die teils seit vielen Jahren in Florenz lebten, blickte auf seine ganz individuelle Lebensgeschichte zurück. Jeder hatte seine ganz individuellen Demütigungen, Frustrationen und Ausbruchsversuche erlebt. Ihr Anführer hatte das gemeinsame Potenzial erkannt und sie zu Schläfern gemacht. Zu Terroristen in der Warteschleife, die bereit sind, auf einen Befehl hin alles wegzuwerfen, jegliche Moral, das eigene Gewissen und – besonders bemerkenswert - sogar die eigene Existenz. Die Infektion ist da, die Inkubationszeit ungewiss. Für das Trio im Wagen trat der kritische Moment ein, als Adnan, der Student, sich gemeinsam mit Hans und einigen seiner Kumpels das A-Grav-Filmchen angesehen hatte. Hans hielt es für einen wunderbaren Spaß und zauberte mit seiner Geige die witzigsten Begleitungen.
„Es ist kein Fake“, wiederholte er zwischendurch ganz ernst, um gleich wieder in Gelächter auszubrechen. Adnan war fasziniert. Es fiel ihm nicht schwer, die DVD am späteren Abend, als sie ihren Reiz für Hans verloren hatte, an sich zu bringen. Und Hans hatte keinerlei Grund, ihm zu verschweigen, dass Antonio als Urheber des Spaßes galt. Adnan gehörte nicht zu Antonios Freundeskreis, aber er kannte ihn vom Sehen. Noch in derselben Nacht stellte er das Video auf den Server seines Providers, allerdings ohne einen Link zur Seite einzurichten. Die Adresse verpackte er in den belanglosen Text einer E-Mail, die er an einen Freund schickte, der in Deutschland ein Handelsgeschäft betrieb. Er kaufte und verkaufte wertvolle Recyclingstoffe. Adnan wusste nicht, was weiter mit seiner Mail passierte, aber sie erfüllte ihren Zweck mit überraschender Schnelligkeit.
Gestern war der Mann, der ihre Zelle führte und den sie ebenso fürchteten wie bewunderten, plötzlich in Florenz eingetroffen. Er hatte sich berichten lassen, auch das, was Adnan in der Zwischenzeit über Antonio herausbekommen konnte. Er teilte ihnen seinen Plan mit und verschwand wieder. Ein sehr schlichter Plan: den Italiener schnappen und ihm so lange zusetzen, bis er alles verriet und das Gerät herausrückte. Dann würde man ja sehen, ob etwas dahintersteckte.
Nun warteten sie in der Via dei Martelli im Halteverbot, den Wagen halb auf dem Bürgersteig geparkt, weil Antonio bei seinen abendlichen Ausflügen häufig diese Richtung wählte. Sie waren nervös. Jeden Moment konnte ein Verkehrspolizist
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