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Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)

Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)

Titel: Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Bergmann
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ihren Retter anzuschmachten. Wenn man bedachte, was sie gerade durchgemacht hatte, war das ein gutes Zeichen. Wenn man bedachte, mit welcher Zuverlässigkeit sie Nieten zog ...
    Laut sagte sie: „In Italien würden wir jetzt die Polizei rufen.“
    „Keine gute Idee“, erwiderte Donahue, ohne von seinem Wundergerät aufzublicken, das die geflüsterten Worte des Schwarzbärtigen aufsaugte.
    „Warum nicht?“
    Er machte eine vage Kopfbewegung in Richtung A-Grav, den sie immer noch in der Hand hielt.
    „Deshalb.“
    „Was ist das?“ fragte Vanetti. „Es sah aus, als würde das Metall von innen heraus leuchten.“
    Chiara entschied spontan, dass der Nachfahre von Guido Vanetti ein Recht darauf hatte, es zu erfahren. Sie aktivierte den A-Grav, richtete ihn auf einen der Stühle, ließ ihn an die Decke schweben und wieder sanft aufsetzen. Vanetti öffnete den Mund und schloss ihn, ohne ein Wort zu sagen. Sogar der coole Amerikaner vergaß sekundenlang seine Befragung. Er holte tief Luft und kniff die Augen zusammen bis nur noch schmale Schlitze übrig blieben. Dann entspannte er sich wieder.
    „Ist es schwierig zu bedienen?“
    Chiara zögerte. Sie hatte das Gefühl, als ob etwas – oder jemand - sie daran hindern wollte, über den A-Grav zu sprechen. Doch ihrer aller Retter wartete auf eine Antwort.
    „Für mich nicht“, sagte sie. „Aber er funktioniert nicht bei jedem.“
    „In der E-Mail stand etwas von einem Schlüssel“, flüsterte Vanetti. „Was hat es damit auf sich?“
    „Haben Sie ihn gefunden?“ fragte Chiara rasch und mit einem Nachdruck, der sie selbst überraschte. Vanetti fischte die Kette unter seinem Hemd hervor und zeigte ihr den zerbrochenen Anhänger.
    „Er hat einen Kern aus Metall, sonst wäre er längst in Stücke zerfallen.“
    In ihrer Aufregung verfiel sie ins gewohnte Italienisch und ins Du.
    „Guido hatte den ganzen A-Grav in einer Madonnenfigur verborgen, Emilio hat die Idee für den Schlüssel übernommen, das passt genau. Ich müsste die Keramik zerstören. Macht dir das etwas aus?“
    „Mach‘ nur“, erwiderte Vanetti, ebenfalls auf Italienisch. „Sie ist ohnehin kaputt.“
    Sie blickte ihn an und lächelte.
    „Dein Italienisch ist perfekt.“
    Er verzog das Gesicht.
    „Das ist kein Wunder. Mein Vater hat es mir beigebracht. Perfektion war auf seiner Skala die unterste Stufe, nicht die höchste.“
    „Was war die höchste?“
    „Etwas im Bereich göttlicher Genialität, schätze ich. Jedenfalls außerhalb der Reichweite gewöhnlicher Sterblicher. Dafür hat er sich allerdings nie gehalten.“
    „Lebt er nicht mehr?“
    „Er und Mama sind bei einem Unfall gestorben.“
    „Tut mir leid“, murmelte sie. „Meine Mutter ist auch tot.“
    Sie schwiegen einen Augenblick, in dem sie sich für zwei Fremde überraschend nahe fühlten. Er räusperte sich, streifte die Kette über den Kopf und gab sie ihr. Chiara drehte und wendete den Anhänger. Sie musste die Madonna zerschlagen, anders würde es nicht gehen.
    In diesem Moment drang ein Warnton aus Donahues CX. Seine Finger flogen wieder über die Tasten, eine, zwei, drei Minuten lang. Dann sah er der Reihe nach Elena, Chiara und Vanetti an.
    „Wir müssen weg hier!“
    Vanetti verlor die Fassung.
    „Das ist meine Wohnung. Meine, meine, meine Wohnung! Warum müssen wir weg?“
    Donahues Charme wich kühler Sachlichkeit.
    „Sie können hier bleiben. Der Kerl da wacht bald auf und seine Freunde sind auf dem Weg. Sie könnten natürlich zur Polizei laufen. Es ist nur recht unwahrscheinlich, dass Sie lebend ankommen.“
    „Eins zu eins?“
    „Eins zu Tausend. Haben Sie einen Wagen?“
    Vanetti bejahte.
    „Was stehen wir dann noch herum?“ rief Elena.
    Es war wie ein Weckruf aus einer verschobenen Normalität, die sich nach dem Schock der Ereignisse eingestellt hatte. Voller Entsetzen betrachtete Chiara die beiden Toten, sie registrierte, dass Donahue sich nochmals über den Schwarzbart beugte und sie dann anlächelte, dass Elena den verstreuten Inhalt in ihre Taschen zurück packte, ohne den Amerikaner aus dem Blick zu verlieren und dass Vanetti da stand, offenbar unfähig, eine Entscheidung zu treffen.
    Sie streifte die Kette mit dem Schlüssel wieder über seinen Kopf und entschied für ihn: „Du musst mit.“
    Er ließ sich von ihr an der Hand führen wie ein Kind.

60___
    Sie verließen das Haus, ohne jemandem zu begegnen. Der kalte Wind ließ sie noch schneller gehen. Vanetti lief wie in Trance vor ihnen her.

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