Chicagoland Vampires 01 - Frisch gebissen
geworden waren. Für mich. Für Ethan.
Tränen, die ich schon längst für geweint gehalten hatte, fielen erneut. Ich ging in die Knie, meine Finger in dem weichen Rasen versenkt, und wünschte mir, dass die Dinge anders verlaufen wären. Dass ich nicht die bedauernswerte Entscheidung getroffen hätte, das Haus zu verlassen und über das Universitätsgelände zu gehen. Auf den Knien schluchzte ich, und die Enttäuschung, das Bedauern waren fast zu viel für mich.
Der Wind wehte Gelächter über den Rasen zu mir hinüber.
Ich drückte mir die Tränen mit den Knöcheln aus den Augen und hob den Kopf. Zwei Studenten, ein Pärchen, gingen Hand in Hand auf dem Weg vorbei, bis sie zwischen den Gebäuden verschwanden. Dann war die Nacht wieder still, die meisten der Fenster lagen im Dunkeln, und nicht einmal mehr eine Brise fuhr durch die Blätter der Bäume, die sich auf dem Universitätsgelände befanden.
Ich schloss die Augen. Atmete ein. Atmete aus. Öffnete die Augen wieder. Abgesehen von der Trauer, die mich umfing, war es eine wunderschöne Nacht. Eine von unzähligen Nächten, die ich in Zukunft sehen würde. Aber damit ich diese Nächte sehen konnte, musste ich eine Lösung dafür finden, mit dem Verlust zurechtzukommen, Leben zu betrauern, die ihr Ende finden würden, wo meins weiterging. Eine Lösung dafür, wie ich meinen Pflichten gegenüber Cadogan gerecht werden wie ich meinen Pflichten gegenüber Cadogan gerecht werden konnte.
Eine Lösung, wie ich mit Ethan zurechtkommen konnte.
Ich musste mir überlegen, wie ich Mallory unterstützen, wie ich meine Beziehung zu meinem Großvater aufrechterhalten konnte, trotz unserer verschiedenen Positionen. Ich musste in der Lage sein, die guten von den bösen Jungs zu unterscheiden, und das in einer neuen Welt, in die man mich einfach hineingeworfen hatte.
Aber was am wichtigsten war: Ich musste herausfinden, ob ich zu den Guten gehörte. Ob Ethan einer der bösen Jungs war.
Ich erkannte das Mittel zum Zweck. Ich musste eine Wahl treffen. Ich war ohne meine Zustimmung zu einer Vampirin gemacht worden – angegriffen und misshandelt, natürlich ohne meine Zustimmung. Die einzige Möglichkeit, wie ich mein meine Zustimmung. Die einzige Möglichkeit, wie ich mein Leben weiterleben, ein neues Leben aufbauen, mein neues Leben in die Hand nehmen könnte, wäre, diese Entscheidung Leben in die Hand nehmen könnte, wäre, diese Entscheidung bewusst selbst zu treffen, was immer auch geschehe. Als bewusst selbst zu treffen, was immer auch geschehe. Als anerkannter Vampir zu leben oder nicht zu leben.
Ich konnte diese Wahl treffen. Jetzt und hier konnte ich mein Leben wieder in die eigenen Hände nehmen.
»Ich entscheide mich für den Vampir«, flüsterte ich. Es war nicht viel, aber es reichte, um mich mitten in der Nacht aufstehen zu lassen, mitten auf dem Universitätsgelände.
Und diesmal stand ich zu meinen eigenen Bedingungen wieder auf.
Nachdem ich mich einmal entschlossen hatte, hängte ich die leere Umhängetasche quer über meine Brust und ging zum Walker Building. Das Gebäude lag im Dunkeln und war verschlossen. Ich zog meinen Schlüssel hervor, schloss die Tür auf und ging die Treppe hoch.
Jeder Doktorand hatte ein Postfach. Ich benutzte meins wie ein Scrapbook und bewahrte dort allen Müll aus meiner Zeit in Chicago auf. Eine abgerissene Eintrittskarte für eine Mitternachtsvorstellung der Rocky Horror Picture Show, die ich zusammen mit anderen wissenschaftlichen Mitarbeitern und Lehrbeauftragen gesehen hatte. Ein abgerissenes Ticket zu einem Basketballspiel gegen die New Yorker Universität, wo ich als Studentin gewesen war.
Ich öffnete die Tasche und stopfte Unterlagen, Fanartikel und Erinnerungsstücke hinein. Greifbare Erinnerungen. Beweise für meine Menschlichkeit. Aber in meinem Postfach befand sich auch etwas Neues – ein rosafarbener Umschlag, versiegelt, aber nicht beschriftet. Ich streifte die Tasche ab, legte sie mir zu Füßen auf den Boden und öffnete den Umschlag mit dem Daumen.
Ich holte eine abgerundete rosafarbene Karte hervor, auf deren Vorderseite glitzernde Buchstaben einem Mädchen zum sechsten Geburtstag gratulierten. Ich grinste, öffnete sie und entdeckte die Unterschriften eines großen Teils der Doktoranden meines Fachbereichs neben einem glitzernden Einhorn, die meisten versehen mit neunmalklugen Glückwünschen zu meinem neuen, mit Fangzähnen versehenen Leben.
Ich hatte nicht gewusst, dass ich diese Karte gebraucht
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