Chicagoland Vampires
Endlich schien sie sich den Tatsachen zu stellen.
»Hast du mit Gabriel gesprochen?«
»Er glaubt, ich könnte rehabilitiert werden.«
Mit dieser schlichten Aussage fiel mir ein Stein vom Herzen, denn ich hatte zum ersten Mal seit langer Zeit wieder Hoffnung. Gabriel war nicht leicht zu beeindrucken, denn er besaß nicht nur die Gabe der Vorhersehung, sondern auch eine große Menschenkenntnis. Wenn er glaubte, dass Mallory rehabilitiert werden konnte, bedeutete das schon etwas. Oberflächliches Geplänkel war nicht sein Ding, schonungslose Offenheit schon.
»Das ist doch ein Anfang«, sagte ich.
»Es ist ein Anfang«, stimmte sie mir zu. »Ich arbeite hinter der Theke. Das hier ist so was wie meine Mittagspause. Ich bin momentan nicht sonderlich hungrig. Ich bin so ziemlich gar nichts im Augenblick. Ich bin innerlich taub. Ich weiß, was ich angerichtet habe. Es läuft vor meinem inneren Auge ab, ständig, ohne Pause. Aber es fühlt sich so an, als ob ich es aus weiter Entfernung betrachtete, ohne selbst daran beteiligt zu sein. Es ist wie ein Video, das auf ständige Wiedergabe eingestellt ist.«
»Diese Dinge sind aber geschehen. Sie sind wirklich geschehen.«
Sie nickte. »Gabriel meinte – er glaubt, dass ich für das magische Ungleichgewicht, das das Maleficium darstellte, besonders empfänglich war. Er glaubt, dass ich aus diesem Grund von ihm angezogen wurde.«
Ich nickte. »Paige sagte, dass alle Hexenmeister das spüren.«
»Einige mehr als andere, schätze ich. Ich will keine Ausreden finden. Ich versuche einfach nur – ich versuche zu verstehen, warum –« Sie brach in heftiges Schluchzen aus.
Ich setzte mich neben sie aufs Bett. Ich berührte sie nicht – dafür war ich noch nicht bereit –, aber ich machte ihr damit klar, dass ich verstand, was sie gerade durchmachte, und anerkannte, dass sie sich endlich ihren Dämonen stellte.
»Gott, ich habe die Schnauze voll von mir«, sagte sie einige Minuten später.
»Andere auch«, sagte ich schmunzelnd, und sie lachte hustend und nickte.
»Das habe ich gebraucht«, sagte sie und wischte sich mit der Hand die Tränen aus dem Gesicht. »Ich kann hier keine Magie verwenden. Dafür hat er gesorgt.«
»Ich weiß.«
»Es wird sehr lange dauern, bis ich sie wieder einsetzen darf. Aber Gabriel glaubt, ich hätte ein Talent. Ich müsse nur darin geschult werden, wie ich es für den richtigen Zweck einsetzen kann.«
»Gabriel hat das gesagt?« Das war für einen Formwandler eine ungewöhnlich deutliche Aussage, denn in der Regel ging es ihnen mehr ums Feiern als um Therapiegespräche.
»Er sagt, es gebe Arbeit für mich. Harte Arbeit, aber erfüllend.«
»Hat er gesagt, was er damit meint?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube auch nicht, dass es von Bedeutung ist. Ich bin mir nicht sicher, ob ich meine Taten jemals wiedergutmachen kann, egal, was ich bereit bin, dafür zu tun.«
Sie und Seth würden gerade ein gutes Paar abgeben. Beide wurden von ihren Schuldgefühlen beinahe erdrückt, und beide hatten Angst, ihre Taten niemals wiedergutmachen zu können – und beide litten ironischerweise wegen eines Buchs, das dazu gedacht war, das Leben aller zu verbessern.
Und die Moral von der Geschichte? Niemals die magische Weltordnung infrage stellen.
»Es gäbe da eine Sache, bei der du helfen könntest«, sagte ich.
Sie sah zu mir auf, und ich vertraute mich ihr an.
»Du hast den Schutzgeistspruch vielleicht nicht zu Ende gebracht, aber du und Ethan, ihr seid auf irgendeine Weise miteinander verbunden.«
Mallory wurde bleich. »Was?«
»Ich glaube, wenn du starke Gefühle empfindest, dann tut er das auch. Ihr seid aufgrund des Zauberspruchs, den du zu wirken versucht hast, irgendwie miteinander verbunden.«
Sie sah völlig entsetzt aus, was dazu führte, dass ich mich wesentlich besser fühlte. »Oh mein Gott, Merit, das wusste ich nicht.«
»Ich wollte es dir auch nicht sagen«, gestand ich ihr. »Nicht, bis ich sicher sein konnte, dass du dich wieder unter Kontrolle hast.« Ich war mir zwar nicht sicher, ob das der Fall war, aber sie war sich mittlerweile ihrer Schwächen und ihrer Verbrechen bewusst. Einen solchen Beweis menschlicher Reife hatte ich schon lange nicht mehr bei ihr gesehen.
Nach meinem Bekenntnis hätte ich weitere Tränen erwartet, aber ihre Gesichtszüge drückten nun Entschlossenheit aus, und sie sah mich an.
»Ich bringe das in Ordnung«, sagte sie.
»Dann tu es«, sagte ich. »Lass das den ersten Schritt hin
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