Chiemsee Blues: Hattinger und die kalte Hand (German Edition)
nicht, ob ich heimkomme. HDL Lena.“
HDL hieß: Hab Dich Lieb, so viel hatte er inzwischen gelernt. Ganz schön flügge, der kleine Vogel, dachte er. Ob sich da was anbahnte mit ihrem alten Sandkastenfreund? Sollte er da irgendwie Einspruch einlegen? Eher nicht. Hätte auch wenig Sinn ... Seit Lena 14 war, hatte sie mehr oder weniger gemacht, was sie wollte. Es hatte harte Kämpfe gegeben um Ausgehzeiten, Outfit, Alkohol und Ähnliches, aber irgendwann hatten Elke, mit der er damals noch verheiratet gewesen war, und er gemerkt, dass sie Lena besser an der langen Leine laufen ließen, als zu versuchen, sie aus lauter Vorsicht wegzusperren. Solange sie einigermaßen gut in der Schule blieb ... Von dem Moment an war alles besser geworden, die Lage hatte sich entspannt. Und jetzt, wo sie sowieso nur so selten bei ihm war, was sollte er sich da sinnlos rumstreiten, solange sie es nicht übertrieb?
Hattinger schaute auf die Uhr. Er fasste einen Entschluss: Er würde Mia anrufen. Er wollte diese Sache klären. Und zwar jetzt gleich.
Er wählte ...
Den ganzen Tag über hatte er immer mal wieder an gestern Abend gedacht, den Anblick des Küchenfensters vor Augen, die Silhouetten ... er verspürte einen Stich, wenn er daran dachte.
Mias Telefon klingelte.
Irgendwie war er ganz schön sauer.
Das Telefon klingelte weiter.
Aber irgendwie auch wieder nicht. Eher resigniert eigentlich ... Wenigstens ging der Anrufbeantworter nicht dran. Er hatte sich sowieso in letzter Zeit manchmal gefragt, ob das mit ihnen noch einen Sinn hatte. Er ließ es weiterklingeln.
„Ja? Berger.“
Mias Stimme klang genervt. Er zögerte kurz und überlegte, ob er nicht wieder auflegen sollte. Sie hatte noch einen alten analogen Anschluss ohne Nummernerkennung.
„Hallo, i bin’s ...“
„Du?“
„Ja ...
„Und...?“
„I hab ma grad denkt, mir kannten vielleicht was essn gehn ...“
„Woaßt du eigentlich, wia spät’s is?“
„Ja, dreiviertel elf, warum?“
„Du hast Nerven, Hattinger. Du verschwindst ausgrechnet an meim Geburtstag, und drei Tag später ruafst mitten in der Nacht o und wuist mit mir Bissen gehn?“
„ZwoaTag ...“
„Um de Zeit kriagn’ma doch sowieso nix mehr ...“
„Guad, dann b’sorg i uns halt a Pizza und komm zu dir. I wollt ...“
„Duat ma leid, aber heut geht’s net bei mir ...“
„Wieso?“
„I hab Besuch ...“
„Aha...“
„Weißt, wenn i des vorher gwusst hätt, dass du heut Zeit hast ...“
... dann hättst am Klampfenberti abgsagt ..., lag ihm auf der Zunge. Er verkniff es sich aber.
„Ja guad, dann ... an schönen Abend no.“
Hattinger legte schnell auf.
Jetzt war er doch sauer.
13
Er dachte an den Tag, an dem ihm klar geworden war, dass Gott ihn verlassen hatte. Glasklar hatte er es erkannt, von einem Moment auf den anderen.
Eine Erleuchtung.
Von da an war plötzlich alles ganz einfach geworden. Von da an hatte er nicht mehr auf Gottes Hilfe gewartet. Er hatte erkannt, dass er die Dinge selbst in die Hand nehmen musste, und das hatte er von dem Moment an auch getan. Sein Leben hatte eine völlig neue Ausrichtung bekommen. Jahrelang war er in der Wut, in der Ohnmacht, in der Verzweiflung steckengeblieben, immer hatte er am Glauben festgehalten, bis er in jenem erleuchteten Moment ohne jeden Zweifel erkannte, dass sich dadurch nie etwas zum Positiven ändern konnte in seinem Leben. Gott würde nicht kommen und sein Leben für ihn richten ...
Er war durch das Haus gegangen und hatte in jedem Raum die Kruzifixe eingesammelt, die Bibeln und auch den kleinen Hausaltar in der Stube.
Dann war er hinausgegangen in den Garten, mitten im Winter, und hatte alles verbrannt.
Nie in seinem ganzen Leben hatte er auch nur geahnt, dass er zu so etwas fähig wäre, das lag außerhalb seiner Vorstellungskraft, doch in dem Moment, als er in die Flammen blickte, erschien es ihm als das Selbstverständlichste der Welt. Es war eine ungeahnte Befreiung.
Danach änderte sich alles.
Anfangs war ihm der Zufall zu Hilfe gekommen – oder war es nicht doch vielmehr Vorsehung gewesen, die sie ihm ins Netz trieb? Er hatte sie eingefangen, lange bevor sie auch nur ahnen konnte, was mit ihr geschehen würde. Am Anfang hatte er es selbst noch nicht gewusst, er hatte sie nur beobachtet. Sie war eigentlich von selbst gekommen, sie hatte es herausgefordert. Er hatte sich nur die Zeit genommen, die Fäden zu spinnen, alle Zeit der Welt hatte er jetzt dafür, denn nichts in seinem täglichen Leben
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