Chiemsee Blues: Hattinger und die kalte Hand (German Edition)
Türkenstraße, seit ihrem Umzug dort mit Zweitwohnsitz. Geboren war sie in Wasserburg, das machte sie Hattinger schon einmal grundsätzlich sympathisch. Ihre Telefonnummer stand nicht im Telefonbuch. Die hatten sie über die Telefongesellschaft aber schnell ermittelt und versucht, sie anzurufen, aber ohne Erfolg. Offensichtlich hatte sie nicht einmal einen Anrufbeantworter.
„Guad, dannfahr’ma hiü“, hatte Hattinger beschlossen. Er nahm Wildmann mit und Andrea Erhard, die sie als Ortskundige auch gleich fahren ließen.
Unterwegs berichtete Wildmann, was er noch auf die Schnelle gegoogelt hatte: Unter dem Namen Elvira Marschall waren fast zwanzig Romane erschienen, alle im Oosterlind Verlag. Es gab auch eine Website von ihr, im Impressum stand wiederum der Verlag, und die Vita von Frau Marschall war offensichtlich völlig frei erfunden. Das Einzige, was daran zu stimmen schien, war, dass sie ihre Bücher auf Reisen schrieb. Die Handlungen waren samt und sonders in den Urlaubsparadiesen angesiedelt, die sie bereist hatte, von Goa, Seychellen, Malediven, Mauritius bis Bali, Australien, Neuseeland, von der Karibik über die Westküste der USA bis Kanada, später hatte sie auch ganz abgelegene und teuere Orte wie die Oster-und Weihnachtsinsel oder Bora Bora besucht.
„Also da muss ma scho gern reisen, für mi war des nix ...“, meinte Andrea Erhard.
„Für mi scho. Wenn i mir des leisten kannt, waar i sofort weg!“, entgegnete Hattinger. Im Moment erschien ihm der Chiemgau gerade mal wieder nicht besonders reizvoll.
„Über Annette Kauffmann gibt es auch nicht viel, jedenfalls keine eigene Website. Da ist ihr Roman Alles auf Anfang, der erste unter ihrem echten Namen, der hat gute Kritiken bekommen, diesen Werner-von-Dingsda-Preis, eine ziemlich hohe Auflage, das scheint für sie so was wie ein echter Neustart gewesen zu sein, mit über 40. In dem Zusammenhang taucht auch nirgends der Name Elvira Marschall auf, das Pseudonym hat sie offensichtlich gut geheim gehalten. Annette Kauffmann ist im Chiemgau aufgewachsen, aufs Lud-wig-Thoma-Gymnasium in Prien gegangen, dann hat sie in München Medizin studiert. Anschließend hat sie sich offensichtlich zum Reisen entschlossen.“
„Medizin? Hat s ’ des fertig studiert?“, wunderte sich Hattinger.
„Darüber konnte ich nichts finden, Chef.“
„Mhm ... dann fragn ma s’ halt selber, wenn s ’ da is. I glaub, de versteckt si halt gern, damit s ’ in Ruhe schreiben kann.“
Sie bogen etwas außerhalb von Eggstätt in einen Feldweg ein, an dessen Ende am Waldrand ein schmucker kleiner Bauernhof lag. Etwa dreißig Meter hinter dem Hof, zwischen Wald und Wiese, befand sich noch ein kleineres Austraghäusl.
„Des da hinten müsst’s sein.“ Andrea Erhard parkte den Wagen auf dem Kiesweg vor dem einfachen, aber gepflegten kleinen Haus.
Sie stiegen aus und schauten sich erstmal um. Das Haus wirkte schon auf den ersten Blick wie eingemottet. Auf der Westseite im Erdgeschoss befanden sich Rollläden vor den Fenstern, die fast ganz heruntergelassen waren. Im ersten Stock gab es rote Fensterläden, die standen zwar offen, aber alle Fenster des Hauses waren geschlossen. Die Haustür befand sich auf der Nordseite. Auf der Südseite war eine kleine Terrasse mit Holzdielen und abgedeckten Gartenmöbeln. Im Osten grenzte der Garten direkt an den Wald. Hinter allen Fenstern ohne Rollläden befanden sich dichte Stores, so dass man von außen nicht hineinsehen konnte. Garage gab es keine, ebenso kein Auto. Schräg gegenüber der Haustür, zur Nordostseite hin, stand noch ein kleiner Holzschuppen. Durch dessen Fenster konnten sie allerlei Gartengeräte erkennen, Laubsäcke, einen Rasenmäher und zwei Fahrräder, ein altes holländisches und ein modernes Mountainbike.
„Schaut ned so aus, als ob da jemand da wäkariertem Kopftuchr ...“, stellte Hattinger fest.
Er klingelte an der Haustür. Sie warteten.
Eine Weile später drückte er noch einmal auf den Knopf, dieses Mal sehr ausdauernd. Von drinnen war deutlich das laute, altmodisch anmutende Schellen der Türklingel zu vernehmen, das konnte man eigentlich gar nicht überhören, wenn man nicht völlig taub war.
Nichts geschah.
„Die is ned da.“ Hattinger schaute hinüber zum Hof. „Dann fragn’ma halt da drüben amoi, vielleicht wissen die was ...“
Als sie sich in Bewegung setzten, kam ihnen auf dem schmalen Weg bereits eine rüstige ältere Frau mit rot-weiß kariertem Kopftuch entgegen, die sie
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