Chiemsee Blues: Hattinger und die kalte Hand (German Edition)
klopfte an Lenas Tür. Sie schien ihn nicht zu hören wegen der Musik. Vielleicht war sie auch eingeschlafen. Er öffnete die Tür und steckte seinen Kopf hinein ...
Der splitternackte junge Mann mit den langen braunen Haaren entdeckte ihn zuerst. Erschrocken hüpfte er sogleich von Hattingers Tochter herunter – ohne zu bedenken, dass er sich dadurch eine weitere Blöße gab, worauf er sich postwendend wieder auf den Bauch warf und ebenso hektisch wie erfolglos an einem Zipfel des Bettlakens zerrte, während Lena erst durch sein seltsames Verhalten aus anderen Sphären zurückgeholt und mit dem unerwartet aufgetauchten Kopf ihres Vaters konfrontiert wurde. Sie stieß ein spitzes Quieken aus und versuchte, sich mit dem Federbett zu bedecken, auf dem sie lag – und das sich aus eben diesem Grund dummerweise nicht bewegen ließ –, worauf sie sich kurzerhand mit der Bettdecke zusammen über den jungen Mann rollte und alles in allem in einem Gebilde endete, das an einen aufgerollten Konservenfischdosendeckel mit zwei eingequetschten Sardinen erinnerte.
Die beiden starrten Hattinger mit großen Augen an.
„Oh ... ‘tschuldigung ...“, murmelte der und schloss die Kinderzimmertür ganz schnell wieder. Das Ganze hatte vielleicht drei Sekunden gedauert.
Einen Moment lang blieb er verdattert vor der Tür stehen.
Da schau her! Damit hatte er jetzt nicht gerechnet.
Er entfernte sich leise Richtung Küche. Unnötig leise, weil die Musik aus dem Zimmer ja viel lauter war.
Wie kam er eigentlich dazu, nicht damit zu rechnen? Es war ja theoretisch bekannt, dass junge Menschen gerne sexuell aktiv sind ... Vielleicht neigte man nur fälschlicherweise zu der Annahme, dass es gerade bei den eigenen Kindern anders sein könnte. Was ja für die wiederum schade wäre. Jedenfalls war er jetzt dieser Illusion beraubt.
Er öffnete die Küchentür. Sein Blick fiel auf das abgerissene Cellophanpapier einer Zigarettenschachtel auf dem Boden.
Die Musik aus Lenas Zimmer verstummte mitten im Stück und allerlei Gepolter und Getuschel war zu hören.
Eine Illusion, die er ohnehin nicht gehabt hatte, wenn er so drüber nachdachte ...
Ein Joghurtbecher voller Asche und Zigarettenstummeln lag auch da. Hattinger setzte sich, leicht peinlich berührt – und belustigt gleichermaßen, wenn er an die Blicke der beiden dachte – an den Tisch. Das Fenster stand offen, aber es stank gewaltig nach Rauch, obwohl das Rauchen in seiner Küche schon lange verboten war!
Jetzt erst sah er sich in der Küche um ... Das war ... das war ... echt ... der Wahnsinn! Hier sieht’s ja aus wie nach einem Bombenangriff! Das darf doch nicht wahr sein, dachte er.
„Lena!“, fauchte er Richtung Flur. „Den Saustall in der Küch ramst aber selber auf, und zwar jetzt glei!“
Er stieg über ein paar versiffte Küchenhandtücher, einen Marmorkuchenrest und eine umgekippte Zuckerdose und holte sich ein alkoholfreies Bier aus dem Kühlschrank, in dem ansonsten gähnende Leere herrschte. Der Inhalt, soweit überhaupt noch vorhanden, war über die ganze Küche verteilt. Und in Lenas Zimmer auf dem Boden, wenn er an das Bild dachte, das er noch frisch vor Augen hatte. Auch wenn dieses Detail nicht das eindrücklichste gewesen war.
Das totale Chaos hier ... Also ehrlich! Hattinger bedauerte schon fast wieder seinen Entschluss, nach Hause gefahren zu sein. Er setzte sich an den Küchentisch und erkämpfte sich mit dem Ellbogen einen kleinen freien Platz, um seine Flasche abzustellen, da kam auch schon seine Tochter angestampft, barfuß und bis zu den Ohren in ihren dicken pinkfarbenen Bademantel gehüllt. Ihr immer noch ungewohnt schwarzer, verstrubbelter Haarschopf wippte dabei wütend auf und ab. Wenn er gedacht hatte, sie wäre jetzt vielleicht irgendwie kleinlaut, hatte er sich getäuscht.
„Papa!? Sag mal, kannst du nicht anklopfen?“, schnauzte sie ihn an, mit hochrotem Kopf.
„Hab i doch!“ Hattinger war sich keinerlei Schuld bewusst.
„Du hättest ja auch mal anrufen können, bevor du kommst!“
„Hab i ah! Aber wenn du so schwer beschäftigt bist...“
Ein kleines Schmunzeln konnte er sich einfach nicht verkneifen. Das war wohl verkehrt.
„Das – ist – nicht – witzig!“, schrie Lena ihn an. Sie machte auf der Ferse kehrt und verschwand türenknallend im Bad.
Hattinger musste lachen, was sie zum Glück nicht mehr hörte. Wenn sie sich in einen Wutanfall hineinsteigerte, bekam sie so etwas Dampfkochtopfmäßiges – man musste immer ein
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