Chiemsee Blues: Hattinger und die kalte Hand (German Edition)
die mal troffen. Vielleicht sollt i die anrufen?“
„Koa schlechte Idee“, meinte Hattinger, „am besten jetzt sofort.“
Den Rest der Fahrt bis Grassau hing Andrea Erhard am Handy und telefonierte, erst mit der Freundin, dann mit deren Cousine, die jetzt im Klinikum Rosenheim arbeitete und diese Woche Nachtdienst hatte, deswegen war sie zum Glück Zuhause.
Am Ortsrand von Grassau stellte Petra Körbel den Wagen auf dem Parkplatz vor einem Siebzigerjahre-Gebäude ab, das an eine Mischung aus wildgewordenem Bauernhof und aufgepumpter Almhütte erinnerte, mit rosafarbenen Lüftlmalereien und dunklen Holzbalkonen ringsum, mit marmorverkleideter Empfangshalle und automatischen Glastüren, davor ein künstlich angelegter Ententeich mit Schilfsaum und aufgespießten Christbaumkugeln: Das Ding war eine einzige Beleidigung für die Sehnerven jedes Ästheten.
Während Hattinger durch die Windschutzscheibe ungläubig staunend das Gebäude musterte, klappte Andrea Erhard ihr Handy zu und schaute ebenfalls raus. „Genau, des war’s ... des ham s ’ nur inzwischen no a bissl mehr aufgmotzt. Da is jetzt wieder a Privatklinik drin, hab i ghört, die machen so Eigenblut-Zeug und so was ... na ja, scheint ja zu laufen.“
„Und, was sagt die Cousine?“
„Die is heut no sauer, die hat bis zur Pleite da gearbeitet. Sie hat gsagt, die letzten drei Monatslöhne hätt s ’ nia kriagt, der Dr. Schanderl, hat s ’ gsagt, der hätt damals alle b’schissen, der hätt scho lang gwusst, dass des nix mehr wird mit der Klinik, aber selber hätt er no alles an Geld abgräumt, was da war, und die Angstellten warn die Deppen gwesn. Dann hat’s an Prozess gebn gegen eahm, wegen, was war des alles, Konkursverschleppung, Konkursbetrug, der hat no alle möglichen Sachen aus der Klinik unter der Hand verkauft, Röntgengeräte, Laborausrüstung, OP-Tische und was weiß ich, aber er is nie verurteilt worden, aus Mangel an Beweisen ...“
„Des klingt ja richtig interessant ...“
„Der war a richtig unangenehmes Arschloch – Verzeihung –, hat sie gsagt. Und scho lang vorher muss es da drunter und drüber gangen sein in der Klinik, da wären sogar Patienten gstorbn, die net unbedingt hätten sterben müssen, hat s’ gsagt, aber ah da hätt ma nie was Genaues nachweisen können. Ich hab’s Ihnen ja gsagt, Herr Kommissar, dass die Klinik net grad den allerbesten Ruf ghabt hat.“
„Dann sollten wir uns doch den Herrn Chefarzt jetz amoi näher anschaun ...“
24
Privatdozent Dr. Dr. Meinhard Keul hätte es natürlich nie zugegeben, aber insgeheim war er doch ein wenig indigniert, dass nicht der Chef der Mordkommission selbst gekommen war, sondern nur der Hilfssheriff sozusagen ... mit einem Streifenpolizisten! Was sollte denn der eigentlich hier?
„Herr Baumann möchte sich für die Kriminalpolizei bewerben, wenn er mit der Ausbildung fertig ist. Kommissar Hattinger meinte, dass er ruhig schon mal reinschnuppern könnte, was ihn da so erwarte“, versuchte Karl Wildmann zu erklären.
„Ja, nette Idee. Dann wollen wir doch mal sehen...“
Mit elegantem Schwung schlug der Rechtsmediziner das grüne Tuch zurück und faltete es mit einer einzigen geübten Handbewegung über dem Fußende des Sektionstisches zu einem ziehharmonikaartigen Gebilde zusammen, das zu beiden Seiten herunterhing.
Auf einen Schlag wurden dadurch die versammelten Teile von Annette Kauffmanns Körper auf dem glänzenden Edelstahl den Betrachtern offenbart, wohlgeordnet selbstverständlich, wie es der natürlichen anatomischen Anordnung entsprach, den Kopf oberhalb des Halses, den linken Fuß unterhalb des linken Unterschenkels ... Schön waren die sauberen Schnittflächen zwischen den einzelnen Körperteilen zu erkennen, die glänzenden Gelenkköpfe und -pfannen, saubere Arbeit eben, wie Dr. Keul ja am Tag zuvor schon telefonisch avisiert hatte, allenfalls störte der durch den Obduzenten selbst angebrachte obligatorische Schnitt vom Hals des Torsos bis hinunter zum Schambein, der nach der Entnahme der inneren Organe branchentypisch grob vernäht worden war – Pathologen waren schließlich keine Schönheitschirurgen. Und der Kopf hatte vorher auch besser ausgesehen – das Aufsägen der Schädelkalotte unter dem Skalp zur Entnahme des Gehirns blieb natürlich nicht immer ganz unsichtbar, vor allem, wenn der Obduzent sich nicht die Mühe machte, die Schädeldecke wieder exakt aufzusetzen ...
Wildmann besah sich die Bescherung und versuchte einigermaßen
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